Italien:Der Krake greift nach Rom

In der Kleinstadt Nettuno vor den Toren der ewigen Stadt hat sich angeblich ein Geflecht aus Mafia, Stadtverwaltung und Teilen der Wirtschaft gebildet. Die italienische Regierung hat nun durchgegriffen - und Bürgermeister, Stadtregierung und Gemeinderat entlassen.

Stefan Ulrich

Eigentlich wollte Vittorio Marzoli am Freitag ja das "Fest des Tintenfischs" begehen. Doch die Feierlaune dürfte dem Bürgermeister von Nettuno vergangen sein. Denn am Abend zuvor hat die italienische Regierung ihn, seine Stadtregierung und den Gemeinderat entlassen. Die Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern vor den Toren Roms wurde unter das Kommando einer Sonderkommission gestellt. Die Begründung: Nettuno ist von der Mafia verseucht.

Marzoli und etliche andere Kommunalpolitiker der in dem Badeort regierenden Rechtsparteien sehen das anders. Deswegen waren sie am Donnerstag mit einem Transparent vor den Palazzo Chigi, den Regierungssitz in Rom, gezogen: "Wir sind keine Mafiosi" stand darauf. Die drinnen tagende Regierung Berlusconi überzeugte das nicht. Sie glaubte dem Bericht einer Untersuchungskommission und den Ermittlungen der Justiz, die ein dramatisches Bild zeichnen.

Danach hat sich in Nettuno ein Geflecht aus organisiertem Verbrechen, Stadtverwaltung und Teilen der Wirtschaft gebildet. Gewoben wurde es offenbar von einem Clan der 'Ndrangheta, der kalabrischen Mafia. Korrupte Mitglieder der Verwaltung sollen in Nettuno mafianahe Unternehmen bei Konzessionen und Aufträgen begünstigt haben. Im Gegenzug wurden Wählerstimmen geliefert.

Rechtspartei fordert hartes Durchgreifen

Davon könnte etwa die rechte Alleanza Nazionale (AN) von Vize-Regierungschef Gianfranco Fini profitiert haben, die in der Gegend stark vertreten ist. Dem Partei-Reformer Fini selbst ist es aber zu verdanken, dass die Regierung nun zur Tat schritt. Im Kampf gegen die Mafia dürfe es keine "Zweideutigkeit" geben, forderte Fini.

Vorangegangen war Mitte November eine Verhaftungswelle in Nettuno. Festgesetzt wurden auch zwei Dezernenten der Stadtregierung sowie der Unternehmer Franco D'Agapiti. Dieser saß einst wegen internationaler Drogengeschäfte im Gefängnis. Nun steht er unter Verdacht, Verbindungsmann der "Familie der Gallace" zu sein, einer der mächtigsten Verbrecherbanden in Kalabrien. Kurz darauf wurden Abhörprotokolle bekannt.

Sie legen nahe, dass D'Agapiti in engem Kontakt mit Politikern der Alleanza Nazionale stand, unter anderem mit einem Senator. Auch der italienische Gesundheitsminister Francesco Storace (AN) muss sich gegen Verdächtigungen wehren, er habe in seiner Zeit als Regionspräsident von Latium mit dem mutmaßlichen Gangsterboss zu tun gehabt.

In Italien wurden seit 2002 bereits 32 Kommunalregierungen wegen Mafia-Durchseuchung aufgelöst. Dabei ging es stets um Orte der Südregionen Sizilien, Kalabrien und Kampanien. Nun ist erstmals eine Stadt in Latium betroffen. Die italienischen Ermittler folgern daraus, die 'Ndrangheta erhole sich von früheren Rückschlägen, expandiere nach Norden und versuche krakenartig, Politik und Wirtschaft zu umklammern.

Weitere Stadträte sollen abgesetzt werden

Die nationale Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft warnte vor wenigen Tagen, die kalabresische Mafia greife bereits nach der Hauptstadt Rom. Und der Staatsanwalt Silvano Mazzetti, der den Fall Nettuno untersucht, warnt, in Latium müssten mindestens fünf weitere Stadträte abgesetzt werden. Spötter in Nettuno reagieren bereits auf die Enthüllungen: Sie schlagen vor, die Tintenfisch-Feier ihrer Stadt in "Fest der Kraken" umzutaufen.

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