Israelische Soldaten:"Selbst ein Dreijähriger muss getötet werden"

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Die Enthüllungen über Grausamkeiten israelischer Militärangehöriger sind erschütternd. Nach der Erschießung eines palästinensischen Schulmädchens gerät die Armeeführung zunehmend unter Druck.

Von Thorsten Schmitz

Die israelische Armee hat eingeräumt, die Umstände der Erschießung eines 13-jährigen palästinensischen Mädchens durch einen Offizier noch nicht geklärt zu haben.

Stets konfliktgeladen: Israelische Soldaten im Disput mit Palästinensern. (Foto: Foto: Reuters)

Generalstabschef Mosche Jaalon bedauerte am Mittwoch in israelischen Medien, dass es nicht gelungen sei, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Das zweite israelische Fernsehen hatte ein Funkprotokoll ausgestrahlt, das auf beklemmende Art die Tötung der Schülerin belegt.

Zuvor hatte Jaalon sich noch hinter den Armee-Offizier gestellt und dessen Aussagen Glauben geschenkt, dass er nur neben das Mädchen auf den Boden gezielt habe. Der Offizier ist seit Anfang Oktober vom Dienst suspendiert und musste sich bislang vor einem Militärgericht wegen widerrechtlichen Gebrauchs seiner Waffe verantworten.

Nach dem Eingeständnis Jaalons könnte nun die Anklageerhebung geändert werden. Zudem, so schrieb die Tageszeitung Haaretz am Mittwoch, werde die Auflösung der Armee-Einheit in Erwägung gezogen.

Die 13-jährige Iman al-Hams war am Morgen des 5. Oktober in Rafach im Süden des Gaza-Streifens auf dem Weg zur Schule in eine Sperrzone der israelischen Armee geraten, womöglich hatte sie sich dorthin verlaufen. Die Soldaten der Einheit und deren Offizier begannen daraufhin, Warnschüsse abzugeben.

Attentäterin oder erschrockenes Mädchen?

Iman habe dann, so berichteten Soldaten israelischen Medien, ihren Schulranzen weggeworfen und versucht, hinter Gräben Schutz zu suchen. Zunächst hatten die Soldaten in Iman eine Attentäterin vermutet - bereits mehrmals waren palästinensische Kinder für Anschläge gegen israelische Soldaten missbraucht worden.

Nach einem Blick vom Wachturm durchs Fernrohr hatte ein beteiligter Soldat seinen Kameraden und dem Offizier mitgeteilt, bei dem Mädchen handele es sich lediglich um ein "etwa zehnjähriges" Mädchen in Jeans und T-Shirt, die "zu Tode erschrocken" sei. Dessen ungeachtet habe der Offizier seine Einheit verlassen, sei auf das am Boden liegende, womöglich bereits verwundete Mädchen zugelaufen, habe zwei gezielte Kopfschüsse abgegeben und anschließend sein ganzes Magazin leer geschossen.

Palästinensische Ärzte berichteten später, der Körper Imans sei mit Kugeln durchsiebt gewesen und habe 15 Einschusslöcher aufgewiesen. Laut Funkprotokoll gab der Offizier bekannt: "Ich habe die Tötung sichergestellt. Jeder, der sich in dem Gebiet bewegt, auch wenn es ein Dreijähriger ist, muss getötet werden."

Der Fall Imans wird in den israelischen Medien in ungewohnt kritischer Weise beleuchtet. Eigentlich herrscht in Israel eine stille Übereinkunft, wonach Aktionen der israelischen Armee im allgemeinen nicht kritisiert werden, da die Soldaten in den Palästinensergebieten unter extremem Stress ihren Dienst ausübten.

Über die Schüsse des Offiziers, dessen Identität nicht bekannt ist, wird jedoch in großer Aufmachung berichtet. Erst in der vergangenen Woche hatte eine israelische Zeitung Fotos von orthodoxen Soldaten gezeigt, die sich in Siegerpose um einen getöteten palästinensischen Terroristen gruppiert hatten.

Dem abgetrennten Kopf eines anderen Terroristen, der sich zuvor in die Luft gesprengt hatte, hatten Soldaten eine Zigarette in den Mund gesteckt. Gegen die Einheit wurden Ermittlungen eingeleitet. In israelischen Medien fragt man sich inzwischen auch, ob es sich bei den Beispielen um Einzelfälle handelt - oder "um die Spitze eines Eisberges".

© SZ vom 25.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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