Israel:Berlin, wir fahren nach Berlin

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Israel ist besorgt über die Abwanderung seiner klügsten Köpfe. Die Debatte über die Emigration verdichtet sich zu einer israelischen Identitätskrise. Denn der Brain-Drain ist hier größer als in anderen westlichen Ländern. Zudem herrscht im jüdischen Staat das Gefühl vor, dass alle weg wollen. Und zwar am liebsten nach Berlin.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die Nobelpreis-Verleihungen werden von den Israelis in der Regel als Feiertage empfunden: Meist ist einer von ihnen unter den Geehrten. In diesem Jahr wurden gleich zwei Israelis in der Sparte Chemie ausgezeichnet. Doch der Stolz mischte sich schnell mit Bitterkeit - denn beide leben in den USA. Diese Emigration der klügsten Köpfe wird auch in anderen Ländern beklagt, aber in Israel hat die Diskussion darüber einen schrilleren Unterton. Denn erstens ist der Brain-Drain hier größer als in allen anderen westlichen Ländern. Zweites herrscht im jüdischen Staat ohnehin mal wieder das Gefühl vor, dass alle weg wollen, und zwar am liebsten nach Berlin. Und so hat sich die Debatte über die Emigration schnell zu einer israelischen Identitätskrise verdichtet.

Israel lebt von der jüdischen Einwanderung; die umworbenen Immigranten werden als "olim" bezeichnet, was so viel bedeutet wie "Aufsteiger". Auswanderer dagegen werden "yordim" genannt, was sich vom Verb für "absteigen" ableitet. Das Image ist also schlecht - dennoch scheint dieser Abstieg einer Umfrage des TV-Senders Channel 10 zufolge einigen Reiz zu haben: 51 Prozent der Israelis gaben an, schon einmal daran gedacht zu haben, der Heimat den Rücken zu kehren.

Der Auszug der Wissenschaftler ist dabei nur ein Aspekt und wird gern in Zusammenhang gebracht mit staatlichen Kürzungen im Bildungsbereich, wegen der erdrückend hohen Kosten fürs Militär und den Siedlungsbau. Laut einer neuen Studie kommen auf drei Wissenschaftler, die in Israel bleiben, einer, der in die USA geht. Doch beklagt wird nicht nur die Abwanderung der Forscher, sondern auch die Flucht der Jungen und Kreativen - und für viele von denen ist das Gelobte Land ausgerechnet Deutschland.

Finanzminister Jair Lapid, der selber einmal ein paar Jahre in den USA lebte, hat sich jüngst jene zur Brust genommen, "die bereit sind, das einzige Land, das die Juden haben, in den Müll zu werfen, weil es in Berlin bequemer ist". Damit hing gleich der Vorwurf des Verrats in der Luft gegen die schätzungsweise 17 000 Israelis, die derzeit dort leben. Angezogen werden sie nicht nur vom Party- und Kulturleben, sondern auch von den vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten. Wer in Berlin eine Wohnung kaufen will, so hat es die Zeitung Haaretz vorgerechnet, muss dafür im statistischen Durchschnitt 67 Monatsgehälter aufbringen, in Tel Aviv sind es 170.

Die Debatte ist jedoch weit lauter, als es die Zahlen hergeben. Der deutsche Botschafter in Israel, Andreas Michaelis, hat gleich darauf hingewiesen, dass die meisten Berlin-Israelis gar nicht bleiben, sondern irgendwann "inspiriert" zurückkehren. Er pries dies als bestes Indiz für die gute Partnerschaft. Tatsächlich kommen auf insgesamt 15 000 Auswanderer jährlich 10 000, die wieder heimkehren, und immerhin hat Israel heute mit acht Millionen Menschen zehn Mal so viel Einwohner wie zur Staatsgründung vor 65 Jahren. Die Angst vor dem Ende des zionistischen Traums ist dennoch präsent, zumal bei neuen Herausforderungen. Schließlich konnte Theodor Herzl damals, als er im Zeitalter der Nationalstaaten sein Programm für eine "Heimstatt aller Juden" entwickelte, von der Globalisierung noch nichts wissen.

© SZ vom 12.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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