Irland und die EU:Gedankenspiele vor der zweiten Befragung

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Die Iren brüten über einer Lösung für die EU-Verfassungskrise. Doch klar ist bislang nur eines: dass sie sich nicht drängen lassen.

Wolfgang Koydl

Wie wäre es, wenn Irland aus der Europäischen Union austreten würde? Nicht für immer, nur für ein, zwei Wochen vielleicht. So lange eben, wie es dauern würde, im Rest der EU den Vertrag von Lissabon in Kraft zu setzen, den die irischen Wähler im Juni in einem Referendum abgelehnt hatten.

Wie es mit der EU weitergehen soll, ist weiter unklar (Foto: Foto: AP)

Anschließend könnte Dublin wieder beitreten. Auch dies würde zwar ein Referendum bedingen, aber darin ginge es nicht um ein unverständliches Vertragswerk, sondern um die Grundsatzfrage der Zugehörigkeit zu Europa. Und die würden die Iren bejahen.

Das klingt zu weit hergeholt? Möglich, aber ein vorübergehender EU-Austritt ist tatsächlich eines der Gedankenspiele, die derzeit von Politikern, Wissenschaftlern und Regierungsbeamten in Irland angestellt werden, um einen Ausweg aus der Krise zu finden, in welche die Volksabstimmung die Insel und den Kontinent gestürzt hat.

Drängeln kontraproduktiv

Im Kern geht es um drei Fragen: Sollen die Iren abermals befragt werden? Wann soll dies geschehen? Und wie soll man die Frage beim nächsten Mal verpacken?

Auf dem europäischen Rat Ende dieser Woche in Brüssel muss Irlands Regierungschef Brian Cowen Bericht erstatten. Viel wird er nicht zu sagen haben, und unter der Hand ist man in Dublin dankbar für die Finanzkrise. Sie wird den größten Teil der Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Die unangenehmste Wahrheit hat die irische Regierung den Mit-Europäern ohnehin schon mitgeteilt: In diesem Jahr, im kommenden Frühjahr oder überhaupt vor den Wahlen zum Europaparlament im Juni kommenden Jahres wird es keine zweite Entscheidung geben - egal in welcher Form.

"Das Nein würde nur noch deutlicher ausfallen", sagt Andrea Pappin von der "Bewegung Europa in Irland". Wenn man den Vertrag "ein für alle Mal töten will, dann muss man die Iren nur zu einer neuen Entscheidung drängeln", sagt sie.

"Es wäre kontraproduktiv, voreilig voranzupreschen", hatte auch Irlands Außenminister Micheal Martin die Mitglieder des Verfassungsausschusses des Europaparlaments auf die Verzögerung eingestimmt. "Wir müssen Schritt für Schritt an die Sache herangehen."

Gründe für die Ablehnung

Bei den Europa-Parlamentariern kam dies nicht gut an. Das Parlament gewinnt am meisten vom Lissabonner Vertrag, deshalb ist hier die Verstimmung über den Aufschub am größten. Der rumänische Europa-Abgeordnete Adrian Severin griff auf den irischen Dramatiker Samuel Beckett zurück, als er Martin beschied: "Wir können nicht auf Godot warten, denn Godot kommt nie."

Doch Dublin besteht auf seinem eigenen Zeitplan und hat dafür offenbar Verständnis in der Kommission und bei den meisten anderen Mitgliedstaaten gefunden. Derzeit wertet eine Kommission von beiden Häusern des irischen Parlaments eine Untersuchung aus, in der die Regierung die Wähler nach den Gründen für ihre Ablehnung befragt hatte.

Die weitaus meisten Iren (42 Prozent) hatten angegeben, dass sie wegen eines Mangels an Kenntnissen und Informationen den Lissabonner Vertrag abgelehnt hätten. Die Parlamentskommission soll rechtzeitig vor dem nächsten EU-Gipfel im Dezember einen Bericht vorlegen.

Politische Beobachter in der irischen Hauptstadt erwarten freilich einen schwierigen Meinungsbildungsprozess der Abgeordneten. Denn die Einheit, die vor der Volksabstimmung unter den im Parlament vertretenen Parteien herrschte, hat sich an den Rändern aufgedröselt wie ein durchgescheuertes Tuch.

Damals waren bis auf die links-nationalistische Sinn-Fein-Partei alle politischen Kräfte für ein Ja eingetreten, sogar die traditionell europakritischen irischen Grünen. Doch sie sind unter dem Eindruck des Volkswillens ebenso von dieser Haltung abgerückt wie die Labour-Partei.

Konsultation statt Volksabstimmung

Bei den Sozialdemokraten hat man aufmerksam registriert, dass vor allem Arbeiter und andere Angehörige unterer Einkommensgruppen, also die eigene Wählerklientel, mit deutlicher Mehrheit gegen den Vertrag gestimmt hatten. Labour wünscht daher überhaupt kein zweites Referendum.

Doch ohne eine neue Befragung wird es wohl nicht gehen, auch wenn offiziell noch keine Entscheidung gefallen ist. Allerdings macht seit kurzem ein neues Wort die Runde in Dublin: Demnach ist allgemein von einer "Konsultation" die Rede, nicht von einer Volksabstimmung. Welche Form eine solche Konsultation haben soll, ist unbekannt.

Allerdings kristallisiert sich inzwischen heraus, wie die Frage formuliert werden soll. Der Subtext, so heißt es, lautet: Wollt ihr in der Union bleiben oder nicht? Mit anderen Worten: Ein zweites Nein würde Irlands Zukunft in Europa beenden.

© SZ vom 13.10.2008/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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