Irland:Stolpern auf dem Weg zum Wohlstand

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Das Votum gegen den Vertrag von Lissabon zeigt die tiefe Kluft zwischen Arbeitern und Mittelstand in Irland - die Segnungen der EU sind offenbar nicht überall gleich stark angekommen.

Wolfgang Koydl

Nun ja, es ist schließlich Freitag, der 13. All das sprichwörtliche Glück, mit dem Irland gesegnet sein soll, konnte die Katastrophe nicht abwenden: 862.415 irische Wahlberechtigte haben den Vertrag von Lissabon abgelehnt und damit Europa in eine tiefe Krise gestürzt.

Das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag richtete sich vor allem gegen die politische Klasse, die die Wähler nicht überzeugen konnte. (Foto: Foto: dpa)

Noch bevor die letzten Stimmen ausgezählt waren, gestand Justizminister Dermot Ahern die Niederlage der Befürworter ein. "Letzten Endes hat das Volk gesprochen - aus einer Myriade von Gründen", erklärte er mit aschfahlem Gesicht im Fernsehen. "Das ist ein sehr trauriger Tag für unser Land und für Europa", bekannte Finanzminister Brian Lenihan.

Insgeheim war dieses Ergebnis in Dublin befürchtet worden. Während der gesamten, vier Wochen dauernden Kampagne hatte stetig nur das Nein-Lager an Zulauf gewonnen - und dies, obwohl die Kritiker ein bunt zusammengewürfelter Haufen ohne große politische Macht waren. Im Gegensatz dazu hatte sich das gesamte politische Establishment für Lissabon starkgemacht: die Regierung des neuen Ministerpräsidenten Brian Cowen, alle wichtigen Oppositionsparteien, die Geschäftswelt und die Gewerkschaften, die Bischöfe und die Bauern.

"Die Ja-Sager sprechen nicht dieselbe Sprache wie wir"

Am Ende freilich überwog das Misstrauen. Es richtete sich vermutlich weniger gegen Europa, und das siegreiche Nein-Lager beteuert denn auch, dass die Iren nicht Europa eine Absage erteilt haben, sondern nur dem Vertrag von Lissabon. Das Misstrauen richtete sich vielmehr auch gegen eine politische Klasse, der es nicht gelungen war, die Wähler zu überzeugen. "Die Ja-Sager sprechen nicht dieselbe Sprache wie wir", hatte eine Wählerin in Dublin während der Kampagne einmal erklärt - und damit offenbar für viele Landsleute gesprochen.

Nun muss Ministerpräsident Cowen das Votum seines Landes den anderen 26 europäischen Staats- und Regierungschefs erklären, wenn er in einer Woche zu seinem ersten Euro-Gipfel nach Brüssel reist. Probleme hat er aber auch daheim, denn vom Ausgang des Referendums hing sein eigenes politisches Schicksal ab.

Der ehemalige Finanzminister hatte erst Anfang Mai das Amt des Taoiseach von dem langjährigen Regierungschef Bertie Ahern übernommen, der in einen Strudel von Korruptionsvorwürfen geraten war und zurücktrat. Deshalb war die Volksabstimmung Cowens erste große Bewährungsprobe - umso mehr, als er seine ganze politische Reputation mit dem Votum verknüpft hatte. Diese Probe scheint er nicht bestanden zu haben.

Das Ergebnis verdeutlicht zudem, wie tief das Thema Europa die Grüne Insel spaltet - geographisch wie sozial. Eine Mehrheit für den Vertrag von Lissabon gab es offensichtlich nur in den gutbürgerlichen südlichen Stadtvierteln von Dublin, im Speckgürtel rings um die Hauptstadt sowie in einigen wohlhabenden Grafschaften. Der Rest des Landes indes stimmte mit deutlichen Mehrheiten von 53,4 zu 46,6 Prozent mit Nein.

Die schlechte Stimmung umdeuten

Auch gesellschaftlich riss der Vertrag eine tiefe Kluft auf: Denn abgelehnt wurde der Vertrag in erster Linie von Arbeitern und Bauern; die Befürworter rekrutierten sich vorwiegend aus dem bürgerlichen Mittelstand - ein Indiz dafür, dass vom Wohlstand der vergangenen Jahre und von der Hilfe der EU nicht das ganze Land gleich stark profitiert hat.

In den letzten Tagen vor dem Wahltag hatten das Ja- und das Nein-Lager noch einmal erheblich ihr Werben um die Wähler verstärkt. Die Befürworter konzentrierten ihre Bemühungen darauf, auf die nachteiligen Folgen einer Ablehnung des Vertrags für Irland innerhalb der Europäischen Union hinzuweisen.

So versuchte Cowen die schlechte Stimmung über die Wirtschaftslage zugunsten der EU umzudeuten. Gerade wegen der ökonomischen Probleme, so beschwor er seine Landsleute, liege es "in Irlands lebenswichtigem nationalen Interesse", wenn sich die EU reformiere und schlagkräftiger werde.

"Jetzt seid schön brav"

Melodramatisch fügte er hinzu: "35 Jahre lang hat die EU Irland geachtet und unterstützt; da hat sie das Recht verdient, nicht als Bedrohung gesehen zu werden." Bei den Wählern freilich schienen solche dramatischen Appelle eher ein gesteigertes Maß an Misstrauen auszulösen, das sich in zwei Fragen niederschlug: Warum verlangen unsere Politiker so eindringlich, dass wir einen Vertrag absegnen, der so unverständlich ist? Und: Warum hat kein anderer EU-Staat ein Referendum erlaubt? Gibt es etwas zu verbergen?

"Es gibt das Gefühl, als ob wir in etwas hineingepeitscht werden sollten", zitierte die Londoner Times einen irischen Wähler. "Man hält uns einen großen Stock vor die Nase und sagt: Jetzt seid schön brav und tut, was man euch sagt. Aber je mehr man dich bedroht, desto mehr neigst du dazu, mit Nein zu stimmen."

In diesem Jahr fiel der 13. Juni auf einen Freitag. Dies ist aber auch der Namenstag des heiligen Antonius von Padua. Er ist, wie gute Katholiken wissen, auch für verlorene Gegenstände zuständig - Autoschlüssel, Regenschirme, und vielleicht auch für verlorene Verträge. Geboren wurde der Heilige übrigens in Lissabon.

© SZ vom 14.6.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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