Irak:Wahl unter Waffen

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Es ist der erste freie Urnengang seit Jahrzehnten, und viele Iraker erhoffen sich nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein endlich eine Chance auf Demokratie. Doch die Wahlen stehen unter keinem guten Stern: Experten befürchten ein Blutbad. Von Peter Münch.

Rosa, Blau und Türkis - die Demokratie trägt bunte Farben im Irak. Etwa 15 Millionen Menschen sind knapp zwei Jahre nach dem Sturz der Diktatur zu den ersten freien Wahlen aufgerufen: mit einem rosafarbenen Stimmzettel für ein 275-köpfiges Übergangsparlament, mit einem blauen Schein für die Räte in den 18 irakischen Provinzen und zusätzlich in den nördlichen Regionen noch mit einem Zettel in Türkis für das Kurdenparlament.

Terroristen zündeten eine Bombe an einer Schule in Bagdad, die als Wahllokal vorgesehen war. (Foto: Foto: Reuters)

Doch farbenfroh heißt noch lange nicht frei und fair. Denn die Waffen sind der Zwilling dieser Wahlen.

"Unsicherheitslage"

Die viel zitierte Sicherheitslage im Land ist in vier Provinzen - und absehbar auch weit darüber hinaus - eher eine Unsicherheitslage. Vor allem in den umkämpften Regionen des Zentralirak, die geographisch als "sunnitisches Dreieck" zusammengefasst werden und etwa 20 Prozent der Bevölkerung beheimaten, wird mit großer Wahrscheinlichkeit kein regulärer Abstimmungsprozess möglich sein.

Die Terrorbanden um den Al-Qaida-Statthalter Abu Musab al-Sarkawi haben per Internet-Botschaft einen "erbitterten Krieg gegen das sündige Prinzip der Demokratie und gegen alle, die dieser falschen Ideologie folgen", angekündigt. Zahlreiche Wahlhelfer haben das in der Vorbereitungsphase schon mit dem Leben bezahlt.

Und auch wenn die mehr als 6000 Wahllokale im Land zu Hochsicherheitszonen ausgebaut sind, werden die Extremisten mit Bombenanschlägen am Wahltag ihre Drohungen zu manifestieren versuchen.

US-Truppen zeigen Präsenz

Zur Absicherung der Wahllokale werden vor allem Zehntausende irakische Sicherheitskräfte bereitstehen. Die US-Truppen, die mit Blick auf den Wahltermin um 12.000 auf 150.000 Mann verstärkt wurden, wollen möglichst wenig Präsenz zeigen. Sie werden eher an den Zufahrtsstraßen der Städte postiert sein.

Seit Freitagabend gilt ein nächtliches Ausgangsverbot von 19 Uhr abends bis 6 Uhr früh. Fahrten zwischen den Provinzen sind nur mit Sondergenehmigung möglich, die Landesgrenzen bleiben für drei Tage geschlossen.

Die Angst vor Anschlägen hatte bereits den Wahlkampf geprägt: Es gab kaum Kundgebungen, und die Namen vieler der etwa 10.000 Kandidaten waren aus Angst vor Attentaten erst unmittelbar vor dem Wahltag veröffentlicht worden.Im Staatsfernsehen dominierten die Auftritte des Übergangspremiers Ijad Allawi, der sich den Bürger als konsequent durchgreifender Führer präsentierte. Schiiten haben schon gewonnen

Die Wähler konnten sich folglich kein differenziertes Bild davon machen, welcher Kandidat ihnen am liebsten ist. Doch das Stimmverhalten wird ohnehin weniger von Personen und Programmen abhängen, sondern viel mehr von ethnischen oder religiösen Loyalitäten.

Die von Saddam Hussein unterdrückten Schiiten, die 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen und von ihren Führern energisch zur Abstimmung gedrängt werden, stehen damit schon vor der Wahl als siegreiche Volksgruppe fest.

Auch die Kurden, 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, werden in Scharen in die Wahllokale ziehen. Die arabischen Sunniten aber werden ihre demokratischen Rechte kaum wahrnehmen. Nicht nur die Gewalt hält sie von der Stimmabgabe ab, sondern auch ein Boykottaufruf ihrer wichtigsten Parteien. Folglich werden sie in der neuen Nationalversammlung unterrepräsentiert sein.

25 Prozent Frauen

Zur Wahl stehen landesweit 111 Listen und Parteien, deren Kandidaten nach dem Verhältniswahlrecht ins Parlament einziehen. Ein Viertel der Sitze ist für Frauen reserviert. Die Stimmen aus dem ganzen Land werden zentral in Bagdad ausgezählt, weshalb mit einem vorläufigen Endergebnis erst in sechs bis sieben Tagen gerechnet wird.

Die Nationalversammlung bestimmt dann einen Staatspräsidenten und zwei Stellvertreter, die wiederum einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs vorschlagen. Er muss sich den Abgeordneten in einer Vertrauensabstimmung stellen.

Die USA wollen mit dieser Wahl demonstrieren, dass die Demokratisierung des Irak allen Widrigkeiten zum Trotz innerhalb des Zeitplans verläuft. "Dies ist der Anfang eines historischen Prozesses, ein Meilenstein für die Iraker", sagte Richard Schmierer, Sprecher der US-Botschaft in Bagdad, der Süddeutschen Zeitung.

Eine Verschiebung der Wahl hätte "nichts verbessert und nur den Gewalttätern einen Sieg beschert". Die Amerikaner erhoffen sich auch Rückenwind für die nächsten Projekte: Wichtigste Aufgabe des Übergangsparlaments ist die Verabschiedung einer Verfassung, über welche die Bevölkerung im Oktober abstimmen soll.

Bis zum 15. Dezember muss auf dieser Grundlage ein neues Parlament gewählt werden. Soweit der Fahrplan; Hindernisse sind nicht berücksichtigt.

© SZ vom 29.01.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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