Investitionen:Wohin das Geld fließt

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In der Theorie der Ökonomen steht der Standort Deutschland schlecht da. Zu viel Bürokratie, zu wenig Mut zum Risiko. Merkwürdig nur, dass die Praxis ganz anders aussieht, wie neue Zahlen belegen.

Von Cerstin Gammelin

Es ist die immer gleiche Lektüre. Egal, ob man einen Bericht des Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Kommission oder britischer Wirtschaftsinstitute liest - Ökonomen empfehlen der Bundesregierung reflexhaft, die Investitionen im Land anzukurbeln, um Wohlstand zu sichern. Es ist die alte Leier: In Deutschland, heißt es, werde zu wenig Geld investiert. Und schlimmer noch, das liege auch an den schlechten Bedingungen für Investoren, weil hierzulande ganze Berufsgruppen wie Architekten oder Apotheker per Gesetz vor dem Wettbewerb geschützt seien.

Soweit die reine Lehre. Praktisch sieht die Sache sehr viel besser aus. Denn nun legen neue Zahlen nahe, dass die Handlungsempfehlung "endlich mehr investieren" nicht der ökonomischen Weisheit letzter Schluss sein dürfte. Deutschland hinkt demnach keinesfalls vergleichbaren Industriestaaten wie Frankreich, Großbritannien oder den USA hinterher, ganz im Gegenteil. Die Bundesrepublik belegt Spitzenplätze, was Investitionen in Immobilien, Maschinen und Anlagen oder das Ausrüsten von Betrieben und Dienstleistern betrifft. Private und öffentliche Gelder zusammengenommen, fließen 20 Prozent des Bruttosozialprodukts in Anlageinvestitionen. Das ist mehr als in den USA, mehr als im Durchschnitt der Euro-Länder.

Standort Deutschland: Theoretisch schlecht, praktisch spitze

Im internationalen Vergleich der rein privaten Investitionsquoten hat die Bundesrepublik im vergangenen Jahr sogar die Spitze erobert - noch vor Frankreich, und das lässt doch einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft blicken: Denn dort, wo privates Kapital hinfließt, herrscht Handel und Wandel, entstehen Arbeitsplätze und Chancen.

Und genau das ist die gute Nachricht. Deutschland hat sich unter den alten Industriestaaten zu jenem Land entwickelt, in das private Unternehmen, Stiftungen und Haushalte am meisten investieren. Wer Geld übrig hat, vertraut es überdurchschnittlich oft Projekten am Standort Deutschland an, dieser genießt Vertrauen.

Das war nicht immer so. Die Wiedervereinigung lockte Anfang der 1990er-Jahre nur vorübergehend Geldgeber an. Die meisten von ihnen zogen schnell weiter, vor allem in südeuropäische Länder, wo die Baubranche boomte. Erst die deutschen Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010 und später die Auswirkungen der dramatischen Immobilien- und Finanzkrise, die vor allem in Südeuropa zu spüren waren, machten die Bundesrepublik wieder attraktiver für private Investoren.

Ob es tatsächlich hierzulande die viel beklagte Investitionslücke gibt, sei also dahingestellt. Sicher, die Investitionen des Staates sind deutlich geringer als die der Privaten. Aber das sagt weniger aus, als es scheint. Der Staat hat andere Aufgaben. Er braucht sein Geld vor allem, um im Sinne des Gemeinwohls zu handeln und um die Rahmenbedingungen für private Investoren stetig zu verbessern. Solange das klappt, muss er nicht selber zum großen Bauherrn werden - auch wenn es ökonomische Modellrechnungen nahelegen.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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