Interview:"Wider das Grundgesetz"

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Ex-Verfassungsrichter Ernst Benda wirft Gerhard Schröder vor, mit einer unechten Vertrauensfrage dem Geist des Grundgesetzes zuwider zu handeln. Wenn jemand gegen die fingierte Bundestagsauflösung klagt, könnte es eng für Rot-Grün werden.

Interview: Joachim Käppner

Der Christdemokrat Ernst Benda, 80, war von 1971 bis 1983 Präsident des Bundesverfassungsgerichtes.

Jurist Ernst Benda hält Schröders Vorgehen für problematisch (Foto: Foto: dpa)

SZ: Was bedeutet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1983 über die Auflösung des Parlaments durch Bundestagspräsident Karl Carstens für Gerhard Schröders Vorhaben, die Vertrauensfrage zu stellen?

Benda: Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des Bundespräsidenten damals zwar gebilligt. Es hat aber eingeschränkt, dass der Bundeskanzler die Vertrauensfrage nur stellen darf, wenn er sich seiner Handlungsfähigkeit im Bundestag nicht mehr sicher ist, "wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiterzuregieren".

SZ: Aber befindet sich Gerhard Schröder wirklich in einer solchen Lage?

Benda: Es ließe sich bezweifeln. Im Bundestag haben sich durch die Wahl in Nordrhein-Westfalen die Kräfteverhältnisse ja nicht geändert. Im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss wird es für die Bundesregierung jetzt zwar noch schwieriger, Zustimmung zu ihren Entscheidungen zu finden - aber das ist kein hinreichender Grund für die Vertrauensfrage. Möglich ist natürlich, dass innerhalb der rot-grünen Parlamentsmehrheit die Widerstände gegen die Reformpolitik des Bundeskanzlers zunehmen.

SZ: Und diese Mehrheit ist knapp.

Benda: Das könnte in der Tat dazu führen, dass der Bundeskanzler angesichts der realen Kräfteverhältnisse im Parlament nicht mehr weiterregieren kann.

SZ: Eigentlich dient die Vertrauensfrage aber nicht dazu, dass ein Bundeskanzler das Parlament nach eigenem Gusto auflösen kann.

Benda: Nein, der Regierungschef kann nicht einfach eine Neuwahl des Bundestages anstreben, wenn er dies gerade politisch für besonders günstig hält. Das ist eindeutig der Sinn des Artikels 68 im Grundgesetz.

SZ: Demnach macht Gerhard Schröder nun genau das, was das Grundgesetz nicht will.

Benda: So ist es. Eine Vertrauensfrage dieser Art zu stellen, entspricht nicht dem Geist des Grundgesetzes. Er ist darauf angewiesen, dass sie von seinen politischen Freunden im Bundestag abgelehnt wird. Eine Mehrheit wird ihm damit die Neuwahlen ermöglichen wollen. Dann mag es eine Minderheit geben, eine kleine Gruppe von SPD-Abgeordneten, denen seine Reformpolitik ohnehin nicht zusagt und welche ihm aus Protest die Zustimmung verweigern.

SZ: Wenn der Kanzler nach Artikel 68 Grundgesetz bei der Vertrauensfrage im Bundestag "nicht die Zustimmung der Mehrheit findet", kann der Bundespräsident das Parlament auflösen. 1983 sagte der Verfassungsrichter Hans-Justus Rinck dazu: "Finden setzt aber Suchen voraus" - der Kanzler muss eine Mehrheit wollen.

Benda: Bundeskanzler Schröder sucht auch eine Mehrheit - aber eben keine, die ihm das Vertrauen ausspricht, sondern eine, die ihm das Vertrauen verweigert oder sich enthält, was im Ergebnis auf das selbe herausläuft.

SZ: Welche Erfolgsaussichten hätte eine Klage wie jene von 1983 in Karlsruhe gegen eine inszenierte Vertrauensfrage?

Benda: Ich neige nicht zu Spekulationen über mögliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. Wenn man aber die Maßstäbe anlegt, die es in seiner Entscheidung über die Auflösung des Bundestages 1983 angelegt hat, dann kann es bei einer Klage eng für die Bundesregierung werden.

© SZ vom 24.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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