Interview:"Nicht Wahlkampf mit der Angst machen"

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Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), über mögliche Anschläge in der Bundesrepublik.

Interview: Joachim Käppner

(SZ vom 10.09.2002)

SZ: Befürchten Sie neue Anschläge zum 11. September?

Freiberg: Natürlich mache ich mir Sorgen, dass es zu Anschlägen kommt, am 11. September oder auch danach. Wir versuchen mit allen Kräften, das zu verhindern, aber eine Gewähr dafür kann es nicht geben. Das Problem dürfte derzeit weniger eine zentral von der stark geschwächten al-Qaida gelenkte Terrorgruppe sein. Gefährlich sind Einzeltäter, vom islamistischen Terrorismus geistig beeinflusst wie wohl die Festgenommenen in Heidelberg.

Davon gibt es viele in Deutschland, die sich aufgerufen fühlen könnten, ein Fanal zu setzen. Für die Polizei ist es schwer, sie rechtzeitig ausfindig zu machen, denn es gibt ja keine erkennbaren Strukturen. Andererseits sollte jetzt niemand der Versuchung erliegen, mit der Angst Wahlkampf zu machen.

SZ: Wem werfen Sie das vor?

Freiberg: Die Äußerungen des bayerischen Innenministers Günther Beckstein, dass hinter dem verdächtigen Paar in Heidelberg eine Gruppe stehe, waren irritierend. Da muss man sich doch als Politiker zurückhalten, wenn man es nicht besser weiß. Solche Ferndiagnosen haben die Seriosität von Horoskopen.

SZ: Wie wirksam sind denn die neuen Antiterrorgesetze?

Freiberg: Das Datum des 11. September markiert eine Kehrtwende. Nun endlich haben Polizei und Geheimdienste mehr Personal bekommen, um die Informationen über Islamisten überhaupt verstehen zu können. Wir haben bundesweit derzeit 72 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Islamisten, und diese Verfahren beruhen auf Erkenntnissen, die wir ohne die Umstrukturierungen nicht gewonnen hätten.

Allerdings sind die meisten der Spezialisten, die etwa Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz bekamen, noch in der Ausbildung. Diese dauert zwei bis drei Jahre, und erst dann wird sich das voll auswirken.

SZ: Sie haben nach dem 11. September gefordert, statt neuer Gesetze hätten Sie lieber mehr Polizisten. Wie viele Beamte fehlen denn noch?

Freiberg: Es wäre nicht seriös, sich jetzt hinzustellen und Zehntausende neuer Stellen zu fordern. Aber es gibt ein einfaches Rechenbeispiel: In den vergangenen zehn Jahren hat die Polizei als neue Aufgaben die Bekämpfung der organisierten Kriminalität, der Geldwäsche, der Arbeitsmarktkriminalität, der Internetkriminalität und nun des islamischen Terrorismus übernommen.

Wenn man alle neuen Aufgaben - und es gibt noch mehr - anschaut, reichen sie, um 50000 Polizeibeamte zu beschäftigen. Die haben wir aber nicht dazubekommen. Aber die Einsicht bei der Politik wächst, dass die Polizei mehr Mittel braucht.

SZ: Es wächst eher die Neigung, neue Sicherheitsgesetze zu verabschieden.

Freiberg: Wer immer nur neue Gesetze verabschieden will, setzt falsche Prioritäten. Ich kann den Ruf der Politik und ihrer Law-and-Order-Männer nach immer schärferen Gesetzen nicht mehr hören. Dann werden diese verabschiedet, dann passiert wieder etwas, und schon sollen neue Paragrafen her. Ich würde im Einzelfall neue Befugnisse durchaus unterstützen, zum Beispiel die Einführung einer neuen Kronzeugenregelung. Aber andererseits ist es nicht damit getan, Gesetze zu erfinden und den Leuten das Gefühl zu geben, sie sind in Sicherheit.

SZ: Woran denken Sie?

Freiberg: Diese Diskussion um die Einführung biometrischer Merkmale in den Ausweisen überfordert die Menschen. Hier gilt es, die Bürger von Sinn und Zielen zu überzeugen. Ein Rechtsstaat muss letztlich noch kontrollierbar sein, auch wenn er energisch gegen den Terror kämpft. Es ist durchaus sinnvoll, die neuen Antiterrorgesetze nach fünf Jahren zu überprüfen, ob sie etwas genutzt haben. Derzeit werden manche der neuen Gesetze nicht einmal umgesetzt.

SZ: Zum Beispiel?

Freiberg: Nehmen wir die Hamburger Terrorzelle, die an den Anschlägen des 11. September direkt beteiligt war. Es wäre sehr wichtig gewesen, im Vorfeld etwas über deren Geldströme oder Kommunikationsbewegungen zu wissen. Daraufhin wurden die Kompetenzen des Verfassungsschutzes im Sicherheitspaket II um genau diese Bereiche erweitert, auch für die Landesämter. Die meisten Länder, übrigens überwiegend die unionsregierten, haben damals richtig Druck gemacht, und heute? Heute haben die meisten Bundesländer noch nicht einmal ihre Verfassungsschutzgesetze entsprechend geändert. Das ist doch kaum zu glauben.

SZ: Im TV-Duell vom Sonntag kritisierte Edmund Stoiber, die Pläne zur biometrischen Kontrolle reichten nicht aus.

Freiberg: Wir könnten alle Sicherheits-Ideen Gesetz werden lassen, die seit dem 11. September diskutiert wurden, und sie würden Herrn Stoiber noch nicht reichen. Das ist reiner Wahlkampf und hat mit der Wirklichkeit der Terrorismusbekämpfung nichts zu tun.

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