Interview mit Margot von Renesse:"Embryonen gebrauchen"

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Radikal liberal: Die SPD-Politikerin Margot von Renesse will in Deutschland Stammzellen herstellen lassen.

Nina von Hardenberg

Die SPD-Abgeordnete Margot von Renesse, 68, war von 2000 bis 2002 Vorsitzende der Enquête-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des Bundestages. Sie ist eine der "Mütter" des Stammzellgesetzes von 2002, über dessen Änderung der Bundestag an diesem Freitag abstimmt.

Margot von Renesse spricht als Vorsitzende der Enquête-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" im Bundestag (Archivbild) (Foto: Foto: dpa)

Ihr Wort hat in der Debatte Gewicht, auch weil sie selbst an Parkinson erkrankt ist und die Sicht der Patienten kennt. Trotzdem spricht sie sich gegen eine Verschiebung des Stichtags für den Import von embryonalen Stammzellen aus.

SZ: Frau von Renesse, 2002 haben Sie den Forschern den kleinen Finger gereicht, und jetzt wollen diese die ganze Hand, wollen frische Stammzellen. Fühlen Sie sich betrogen?

Renesse: Ganz und gar nicht. Damals haben wir den Forschern genau gegeben, was sie wollten. Sie wollten an den vorhandenen Stammzellen forschen, mehr gab es ja auch noch nicht. Auch den Lebensschützern haben wir gegeben, was sie wollten.

Es war deshalb auch kein Kompromiss. Das Stammzellgesetz ist eine äußerst dünne Gratwanderung, die beiden Seiten erlaubt hat, auf ihren Positionen zu beharren.

SZ: Also ist es nur logisch, dass die Forscher eine Nachbesserung des Gesetzes fordern, jetzt wo es neuere Zellen gibt?

Renesse: Dass der Versuch gemacht würde, das Gesetz aufzuweichen, war mir klar. Aber ich hätte nicht gedacht, dass das Parlament sich auf eine Verschiebung des Stichtages für den Import von embryonalen Stammzellen einlässt. Das ist eine völlig unlogische Gesetzesänderung.

Für eine Verschiebung spricht nur der Bedarf der Forscher. Das ist aber ein nicht-ethisches Argument und damit äußerst anfechtbar.

Man geht so eine augenzwinkernde Komplizenschaft mit dem Ausland ein, nutzt die Tatsache, dass dort Embryonen zu Forschungszwecken getötet werden, obwohl man das in Deutschland für falsch hält. Ich würde mir wünschen, dass der Bundestag tiefer nachdenkt.

SZ: Wohin würde ein tieferes Nachdenken führen?

Renesse: Wenn man das Stammzellgesetz anrührt, muss man sich grundsätzlicheren Fragen stellen. Wir müssen über den Status des Embryos vor der Verfassung reden. Das Embryo ist geschützt, aber es gibt da jede Menge Abstufungen.

Denken Sie an den Paragrafen 218 zu Abtreibung. Ist es also wirklich richtig, dass wir in Deutschland die Forschung an Embryonen verbieten, auch wenn diese bei einer künstlichen Befruchtung übrig bleiben und weggeworfen werden? Ich habe da eine liberalere Einstellung.

Ich will, dass diese Embryonen "gebraucht" werden können, so wie auch Tote für die anatomische Forschung gebraucht werden. Ich finde, dass ist kein Verstoß gegen die Würde.

Der absolute Schutz muss dem Embryo gelten, der eine Chance hat sich zu entwickeln. Dem künftigen Kind künftiger Eltern, nicht der eingefrorenen Zelle. Diese Position habe ich auch schon 2002 vertreten, aber sie war nicht mehrheitsfähig.

SZ: Und heute? Hat sich Deutschland in dieser Hinsicht verändert?

Renesse: Ja es gibt eine neue Akzeptanz für die Stammzellforschung. Die apokalyptische Angst ist einer Nüchternheit gewichen. Es herrscht aber auch ein neuer Pragmatismus, was bedauerlich ist. Das gedankliche Niveau war damals intensiver.

SZ: Bereuen Sie rückblickend, dass Sie das Gesetz mitgetragen haben, jetzt wo Sie sehen, was daraus wird?

Renesse: Nein, wir hatten jahrelang Rechtsfrieden. Darauf bin ich sogar sehr stolz. Den Forschern der grünen Gentechnik haben sie die Felder niedergebrannt. Die Debatte um die rote Gentechnik war plötzlich befriedet.

SZ: Ihre Meinung hat Gewicht, auch weil Sie selbst an Parkinson erkrankt sind. Hat das Ihr Denken beeinflusst?

Renesse: Ich habe seit 15 Jahren Parkinson und gehe nicht davon aus, dass ich noch von neuen Therapien profitieren werde. Das hat meine Haltung auch nicht sehr bestimmt. Ich bin nicht mehr jung, und im Alter muss man eben von bestimmten Dingen Abschied nehmen.

SZ: Fünf Anträge liegen vor. Was raten Sie den Abgeordneten, wie sollen Sie abstimmen?

Renesse: Der Antrag von Frau Flach für eine Abschaffung des Stichtags scheint meiner Position auf den ersten Blick am nächsten zu kommen. Er ist aber derjenige, der am intensivsten auf eine Komplizenschaft zwischen einem in Deutschland unzulässigen Embryonenverbrauch und einem fröhlichen Benutzen der Ergebnisse abzielt. Darum ist er unter ethischen Gesichtspunkten der am wenigsten akzeptable.

Enthalten würde ich mich auch bei der Stichtagsverschiebung, wie sie mein Freund René Röspel vorschlägt. Ich bin eben für etwas anderes: Ich will, dass die überzähligen Embryonen auch in Deutschland gebraucht werden dürfen. Aber so weit geht keiner der Anträge.

© SZ vom 11.04.2008/bavo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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