Interview mit Klaus Wowereit:"Stromlinienförmig war ich nie"

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Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit spricht über seine bundespolitischen Ambitionen, SPD-Chef Kurt Beck und die Zukunft der Städte.

Nico Fried und Susanne Höll

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ist der Vorsitzende der SPD-Parteikommission, die Empfehlungen für moderne Politik in den Großstädten erarbeitet. Der 54-Jährige zählt zur Parteilinken und wird zu den Anwärtern auf sozialdemokratische Spitzenposten im Bund gezählt.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Herr Wowereit, beim Votum über den Flughafen Tempelhof waren Westberliner für einen Weiterbetrieb, Ostberliner dagegen. Sind Sie Regierender Bürgermeister einer gespaltenen Stadt?

Wowereit: Dass man in Ost und West bei manchen Themen noch geteilter Meinung ist, finde ich nicht tragisch. Die Stadt war nun mal geteilt. Es gibt unterschiedliche historische Prägungen und Symbole.

SZ: Gibt es inzwischen eine gemeinsame Berliner Identität?

Wowereit: Die gibt es - und sie gab es auch in Zeiten der Teilung. Es gibt auch neue Entwicklungen. In den letzten 15 Jahren kamen über 1,7 Millionen Zuzügler nach Berlin. Die sehen die Welt oft anders als diejenigen, die hier aufwuchsen. Das bringt neue, spannende Perspektiven für alle.

SZ: Warum macht sich die SPD Sorgen um die Metropolen? Rund die Hälfte der 30 größten deutschen Städte wird von Sozialdemokraten regiert.

Wowereit: Erstens: Es waren schon mal deutlich mehr. Zweitens: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in größeren Städten. Drittens: Die festen Bindungen an die Parteien nehmen speziell in den Großstädten ab. Wir müssen deren Bürger wieder erfolgreicher ansprechen, rational und emotional.

SZ: Warum hat die SPD in den Städten an Reiz verloren?

Wowereit: Ein Faktor ist durchaus, dass Direktwahlen von Personen an Bedeutung gewonnen haben und damit Kandidaten wichtiger geworden sind. Sie müssen möglichst alle Menschen ansprechen. Starke Persönlichkeiten, zumal wenn sie sich manchmal auch von der eigenen Partei etwas abheben, haben oft große Erfolge.

SZ: Wen meinen Sie jetzt? Münchens SPD-OB Christian Ude, Ole von Beust in Hamburg oder sich selbst?

Wowereit: Ich meine alle mit Profil, die sich Unabhängigkeit bewahrt haben. Übrigens: Weder Ole von Beust noch ich sind direkt gewählt. Und die Verankerung in einer großen, erfolgreichen Partei bleibt natürlich zentral.

SZ: Nach Frankfurt wird jetzt auch Hamburg schwarz-grün regiert. Muss das der SPD Angst machen?

Wowereit: Das zeigt, dass wir nichts geschenkt bekommen. Wo sich die CDU, wie in Frankfurt mit Petra Roth, aus Sicht der Wähler als vergleichsweise modern und weltoffen profilieren kann, wird es umso enger für die SPD.

SZ: Welche Lehre ziehen Sie daraus?

Wowereit: Wir können nicht die Politik der anderen Parteien beeinflussen. Wir müssen die besseren politischen und personellen Angebote machen. Da müssen Kandidaten und Programm zusammenpassen. Wir sind die Partei der sozialen Verantwortung, aber die SPD darf sich auch nicht ausschließlich mit sozialen Problemen beschäftigen. Wir müssen attraktiv sein für die Leistungsträger in allen gesellschaftlichen Schichten.

SZ: Der linke Wowereit als Vorkämpfer für Wohlhabende?

Wowereit: Leistungsträger müssen nicht reich sein. Wer sich aus Arbeitslosigkeit herauskämpft, ist ein Leistungsträger. Genau wie ein Selbständiger, der so erfolgreich ist, dass er 50 Arbeitsplätze schafft.

SZ: Sie sagen, Großstädte seien Seismographen. Was signalisiert Berlin?

Wowereit: Zum Beispiel den demographischen Wandel. Wie verändert sich eine Stadt mit einer Bevölkerung, die älter wird und individualisierter? Wie können wir neue Wohnformen auch fürs Alter finden? Wie organisieren wir Pflege, möglichst lange daheim?

Daneben auch Fragen nach einem konsequenten Ausbau der Bildungsangebote, nicht zuletzt zur erfolgreichen Integration von Zuwanderern. Nach Ideen gegen das soziale Auseinanderdriften der Stadtgesellschaft. Nach kultureller Teilhabe für alle. Und nach den kreativen Jobs der Zukunft.

SZ: Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck stammt aus Rheinland-Pfalz. Verstehen Sie sich als urbane Antwort auf Beck?

Wowereit mit "Sex and the City"-Star Kim Catrall: "Termine auf sogenannten glamourösen Veranstaltungen sind harte Arbeit." (Foto: Foto:)

Wowereit: Das ist doch ein künstlicher Gegensatz. Ich kenne Großstädter, die im schlechten Sinne provinziell sind - und weltoffene Menschen auf dem Land. Entscheidend ist, ob man offen ist für Neues. Wer in Berlin lebt, hat andere Erfahrungen als jemand im Saarland. Aber beide können voneinander lernen.

SZ: Ihnen haftete der Ruf des fidelen Partygängers an. Was hat sich geändert?

Wowereit: Mein Terminkalender jedenfalls nicht. Gesellschaftliche Auftritte, die zur Rolle des Regierenden Bürgermeisters gehören, werden heute nicht mehr als so spektakulär wahrgenommen.

SZ: Bedauern Sie das?

Wowereit: Manche Berichte waren früher auch ungerecht. Termine auf sogenannten glamourösen Veranstaltungen sind harte Arbeit. Aber es ist sicher so: Nicht nur für die Beobachter, auch für einen selbst sind solche Ereignisse nicht mehr ganz so spannend, wenn man sie mehrfach erlebt hat.

SZ: Nutzt oder schadet einem Politiker das Image eines Bohemiens?

Wowereit: Was im Feuilleton oder in bunten Blättern nutzt, kann schaden, wenn es auf den politischen Seiten einer Zeitung auftaucht. Allzu sehr gelitten habe ich aber nicht: Ich bin ja wiedergewählt worden. Es hat auch Vorteile, wenn man nicht ganz dem traditionellen Politiker-Bild entspricht. Nehmen Sie es als Alleinstellungsmerkmal.

SZ: In Ihrer Partei stößt man sich an diesem Profil, hält Sie für zu exotisch.

Wowereit: Wenn das so wäre, würde ich sicher nicht in fast jeden Wahlkampf in Deutschland eingeladen. Über Aufmerksamkeit und Resonanz bei Veranstaltungen außerhalb Berlins kann ich mich nicht beklagen.

SZ: In der Bundes-SPD sagt man Ihnen Renitenz im Präsidium nach.

Wowereit: Ich nehme dort meine beratende Rolle wahr, als nicht-gewähltes Mitglied. Stromlinienförmig war ich nie. Aber Hartnäckigkeit und Profil - das ist etwas anderes als Renitenz.

SZ: Zum Profil zählt auch die Fähigkeit, in schweren Lagen Kurs zu halten.

Wowereit: In Berlin lernt man, Kurs zu halten. Wir haben gerade eine äußerst harte Tarifauseinandersetzung, kämpften und kämpfen gegen die alte Subventionsmentalität. Man muss klar sagen, was man will. Sonst verliert man die Glaubwürdigkeit.

SZ: So wie die SPD in der Frage zum Umgang mit der Linkspartei im Westen.

Wowereit: Die Entscheidung war richtig: Über Koalitionen muss vor Ort entschieden werden. Ich würde mir von niemandem vorschreiben lassen, mit wem ich Berlin regieren soll. Ich bin in den Wahlkampf 2001 mit der Botschaft gezogen, dass ich Rot-Grün möchte, aber auch ein Bündnis mit der PDS nicht ausschließe.

SZ: Ist Rot-Rot ein Erfolgsmodell, das fortgesetzt werden sollte?

Wowereit: Ich habe keinen Grund, unsere Berliner Koalition in Frage zu stellen. Aber es ginge sicher auch mit den Grünen. Und jedes Land ist anders. Im Bund wird es 2009 allemal keine Koalition mit der Linkspartei geben, aus programmatischen Gründen. In der Außen- und Sozialpolitik trennen uns Welten.

SZ: Geht Rot-Rot im Bund 2013?

Wowereit: Dazu müsste sich die Linkspartei verändern, programmatisch und personell. Ob sie das will und kann, muss sie selbst entscheiden.

SZ: Man sagt Ihnen in der SPD bundespolitische Ambitionen für die Zeit nach 2009 nach.

Wowereit: Wir haben die Wahl 2009 vor uns, wollen stärkste Partei im Bund werden. Dafür hat Kurt Beck einen klaren Führungsauftrag und den wird er auch wahrnehmen. Ich bin bis 2011 als Regierender Bürgermeister gewählt, und die Arbeit macht mir sehr viel Freude. Ich tue jetzt nur das, was ich zu Beginn meiner zweiten Legislaturperiode angekündigt habe: Ich melde mich bundespolitisch zu Wort, wenn es um Berlin und um wichtige Themen der SPD geht.

© SZ vom 02.05.2008/bavo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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