Interview mit Alt-Bundeskanzler Schmidt:"Ratschläge sind nicht mein Bier"

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Schade eigentlich. Helmut Schmidt, 85, spricht im SZ-Magazin mit Roger De Weck über die beiden Jungspunde Gerhard Schröder und Horst Köhler.

Eigentlich wollte Helmut Schmidt Stadtplaner werden. Doch erst einmal zog er, 1918 in Hamburg geboren, in den Krieg: Als Flakhelfer verpflichtet, stieg er in der Wehrmacht zum Oberstleutnant auf. Nach 1945 hielt er es für sinnvoller, Volkswirtschaft zu studieren, und machte Karriere in der SPD.

1974 folgte er Willy Brandt als Bundeskanzler. 1982 stürzte ihn CDU-Chef Helmut Kohl durch ein Misstrauensvotum. Schmidt ist das Vorbild von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Vergleiche zwischen beiden Politikern wurden jedoch erst gezogen, nachdem Schröder im März den SPD-Vorsitz abgab: Auch die Ära Schmidt sei durch Wirtschaftskrise und Entfremdung von der Partei geprägt gewesen kurz vor Schmidts Sturz.

SZ-Magazin: In der Zeit befanden Sie neulich: "Der Köhler, wenn er Bundespräsident wird, hat allein mehr ökonomischen Verstand als die ganze deutsche politische Klasse zusammen." Brauchen wir mehr Wirtschaftsleute in der Politik?

Helmut Schmidt: Im Bundestag oder im Berliner Schloss Bellevue, ja. In der Bundesregierung nicht unbedingt. Der Kanzler und die Minister müssen von Fall zu Fall Mehrheiten und Kompromisse zu Stande bringen.

Dieses Know-how kann kein Wirtschaftsführer aus dem Handgelenk schütteln. Machen Sie die erste Geige zum Dirigenten, geht es schief. Umgekehrt dürften Sie auch nicht von Simon Rattle verlangen, er solle bei den Berliner Philharmonikern die Soloflöte machen.

SZ-Magazin: Nach so mancher Affäre in Politik und Wirtschaft klingt die Frage naiv. Aber sollte nicht, wer Macht ausübt, auch ein Vorbild sein?

Schmidt: Eine schöne, selten erfüllte Forderung. Zum Beispiel wuchert die Raffgier, Habgier und Machtgier einer Reihe von Wirtschaftsführern.

SZ-Magazin: Solche Manager stellen den Primat der Politik in Frage.

Schmidt: In Europa drängen sie den Einfluss von Gesetzgeber und Regierung zurück. Doch wird das nicht ewig währen. Amerika versucht bereits, den Raubtierkapitalismus zu bändigen.

SZ-Magazin: Die Macht der Manager wächst. Regieren sie uns bereits?

Schmidt: Sie regieren nicht, denn sie machen nur das, was ihnen nützt. Regieren ist eher das Gegenteil. Es geht so weit, dass sich ein Regierungschef nicht länger auf große Unternehmen seines Landes verlassen kann.

Ob im Notfall ein Kanzler die Hilfe der Deutschen Bank bekäme? Heute würde er lange überlegen, ob er sich an sie wenden soll. Einige Bankenchefs haben sich von der patriotischen Verantwortung entfremdet.

SZ-Magazin: Die Deutsche Bank und nicht nur sie hat eine Mehrzahl ausländischer Aktionäre. Sind Konzernchefs unpatriotisch, wie Gerhard Schröder einzelne nannte? Sind sie gar die neuen vaterlandslosen Gesellen?

Schmidt: Da ist was Richtiges dran.

SZ-Magazin: Kann es gut gehen, wenn das Regieren national bleibt, wo doch die Wirtschaft global agiert?

Schmidt: Es gab Zeiten, da in der Bundesrepublik die Wirtschaftsführer patriotischer waren, obwohl schon damals der Anteil des Außenhandels am Sozialprodukt dreimal so hoch war wie in Amerika und die deutsche Wirtschaft längst auf den Weltmarkt ausgerichtet.

Inzwischen können Sie einen Franzosen, Briten oder Schweizer zum Chef der größten Bank machen. Allerdings wird seine Loyalität gegenüber dem eigenen Institut unendlich größer sein als gegenüber dem Land, in dem zufällig das Institut seinen Sitz hat.

Ob das eine gesunde Entwicklung ist? Das Pendel wird eines Tages zurückschlagen. Wann es zurückschlägt, hängt davon ab, ob die Europäische Union weiter vor sich hin kränkelt oder erstarkt. Eine starke EU würde einen neuen, europäischen Patriotismus auch der Wirtschaftsführer wecken.

SZ-Magazin: Die Europäische Union hat mehr und mehr Mitglieder. Ist sie noch regierbar?

Schmidt: Die Brüsseler Kommission bedarf der "Verschlankung": Stellen Sie sich einen Konzern mit zwanzig, demnächst sogar drei-ßig Vorstandsmitgliedern vor! In Wirklichkeit regiert dann ein Küchenkabinett. Noch schlimmer ist das hypertrophe Wachstum der Bürokratie. Je mehr Ge-setze, desto mehr Bürokraten.

SZ-Magazin: Auch Kanzler Schmidt war wehrlos gegenüber der Bürokratie.

Schmidt: Keineswegs. Doch seither sind Macht und Beharrungsvermögen der Bürokraten erheblich gewachsen. Namentlich wir Deutsche haben eine Wut, alles zu regeln.

SZ-Magazin: Wer heute regiert, sollte weniger regieren, also weniger regeln?

Schmidt: Ja, zumal da er deutlich weniger Handlungsfreiheit als früher hat. Zu den Aufgaben jedes Kanzlers zählt nunmehr der Abbau der Bürokratie. Doch wird ihm das leider misslingen. Da sind im Sozialgesetzbuch, im Baugesetzbuch, im Arbeitsrecht Tausende von Paragrafen. Will der Kanzler auch nur einen streichen, leisten Verbände und Gewerkschaften massiven, teils raffinierten Widerstand. Die Bürokratisierung der Gesellschaft hat den Lobbyismus erst richtig hervorgebracht.

SZ-Magazin: Das klingt resigniert.

Schmidt: Ich bin realistisch. Was George Orwell für 1984 voraussah, haben wir in mancher Hinsicht übertroffen. Allerdings leben heute viel mehr Menschen auf demselben Raum. Pro Kopf und Nase steht an Raum ein Viertel dessen zur Verfügung, was vor hundert Jahren auf der Erde zur Verfügung stand. Je enger Menschen zusammengepfercht sind, desto mehr Regeln benötigen sie. Hüten Sie mutterseelenallein eine Schafherde, brauchen Sie kaum Gesetze.

SZ-Magazin: Ringt sich ein Politiker dennoch durch, zu deregulieren und Wirtschaftsreformen einzuleiten, wird er bestraft. Beispiel Raffarin in Frankreich, Beispiel Schröder in Deutschland. Wird Regieren zur Kunst des Unmöglichen?

Schmidt: Es bleibt das Handwerk des Möglichen. Doch der Bereich des Möglichen ist kleiner, als wir denken, wenn wir jung sind. Ein Ausnahmefall war Margaret Thatcher, die eisern reformierte, dabei auch zu weit ging, und sich trotzdem fast zwölf Jahre an der Macht hielt. Sie hatte Charisma, Ausstrahlung, Überzeugungskraft. Und eine unbändige Energie! Eine hoch begabte Regierungschefin.

SZ-Magazin: Wer hingegen Deutschland reformieren will, muss einen Hang zum politischen Selbstmord haben.

Schmidt: In der Tat hat Schröder Mut. Der Mann hat eine Menge in Gang gesetzt und bewusst eine Popularitätseinbuße in Kauf genommen. Aber Recht hat er. Denn manches wäre schon 1995 fällig gewesen, doch Helmut Kohl war am Schluss seiner Amtszeit allzu zögerlich. Wir sind jetzt erst beim ersten Reformschritt. Und sollten bereits den dritten tun.

SZ-Magazin: Ist es einem Kanzler zuzumuten, dass er sich entmachtet und seine Partei schwächt?

Schmidt: Nicht in jedem einzelnen Fall, aber prinzipiell muss ihm das sogar abverlangt werden.

SZ-Magazin: Auch, wenn es den Verlust der Macht bedeutet?

Schmidt: Es klingt hart, aber ich bekräftige das: im Notfall bis zum Machtverlust. Ein Regierungschef muss sachgerecht entscheiden, ohne Rücksicht auf sein politisches Überleben und auf die Meinungsumfragen.

SZ-Magazin: Das sieht der Vorsitzende der SPD wohl anders.

Schmidt: Der Parteichef regiert nicht, sondern hält bitte schön die Partei zusammen. Das ist eine andere Aufgabe. Insofern liegt eine Logik in der Trennung. Auch wenn ich lieber beide Ämter gehabt hätte, um mehr Spielraum zu haben.

SZ-Magazin: Sind Sie gern Mitglied einer Partei im Niedergang?

Schmidt: Der SPD kann es schneller als gedacht wieder gut gehen. Warten Sie die ersten vier Jahre einer anderen Regierung ab: wie die dann aussehen wird und wie die Oppositionsparteien aussehen werden.

SZ-Magazin: Aber die Sozialdemokratie insgesamt ist zurzeit in die Defensive geraten.

Schmidt: In einigen kleinen Ländern, die mit dem Wohlfahrtsstaat Maß gehalten hatten oder die den Mut zu Reformen aufbrachten, hält sie sich ganz gut oder er-holt sich.

SZ-Magazin: Welche Reformer beeindrucken Sie?

Schmidt: Diejenigen, die am deutlichsten gegen das scheinbar unausweichliche Gebot des Populismus verstoßen und ihre Sache infolgedessen gut gemacht haben: die Holländer, Dänen, Schweden.

SZ-Magazin: Wie würde ein Kanzler Schmidt heute Reformen anpacken?

Schmidt: Lieber Freund, ich bin 85. Ich werde den Teufel tun und mich an die Stelle der Regierung setzen. Mich kennzeichnet die Gelassenheit des Alters. Warum soll ich mich verleiten lassen, Zensuren zu erteilen?

SZ-Magazin: Nicht Zensuren: handfeste Ratschläge.

Schmidt: Nicht mein Bier.

SZ-Magazin: Als Kanzler vertraten Sie Unpopuläres wie die Nachrüstung. Trotzdem bleiben Sie laut Umfragen der Politiker, der am meisten Vertrauen genießt.

Schmidt: Sollte es stimmen, beruht es darauf, dass ich nicht mehr im Amt bin. Eine nachträgliche Vertrauenskundgebung.

SZ-Magazin: Ist es ein Glück, frühzeitig zu gehen? Sollte Schröder das beherzigen?

Schmidt: Die erste Frage bejahe ich, die zweite geht mir zu sehr in die Tagespolitik.

SZ-Magazin: Glauben Sie, dass es heute schwieriger ist zu regieren als zu Ihrer Kanzlerzeit?

Schmidt: Es ist anders, wegen der Allgegenwart des Fernsehens. Kein Regierungschef kann sagen: "Die sollen mich am Buckel kratzen, ich gehe jetzt 14 Tage vor keine Kamera."

SZ-Magazin: Vielleicht probiert es einfach keiner.

Schmidt: Neulich war ich wieder in China: Nicht einmal der chinesische Präsident kann sich so was leisten.

SZ-Magazin: Also sind auch die Regierenden Sklaven des Fernsehens.

Schmidt: Regierungschefs müssen das TV genauso ertragen wie das Wetter. War ihm danach, konnte Bismarck über "die Pressebengels" seine Schnäcke machen. In dieser Hinsicht war er freier als heutige Politiker.

SZ-Magazin: Waren auch Sie freier als Ihre Nachfolger?

Schmidt: In meiner Kanzlerzeit war das Fernsehen noch nicht die Hauptsache. Hauptsache war damals, vor einem Vierteljahrhundert, die Erklärung zur Lage der Nation oder sonst eine tage- und nächtelang vorbereitete Rede im Bundestag.

SZ-Magazin: Gibt es in Zukunft lauter Medienpräsidenten und Medienkanzler?

Schmidt: Leider Gottes. Wer für Auftritte vor der Kamera ungeeignet ist, kann sich schwerlich halten, auch wenn er bestens regiert.

SZ-Magazin: Gerhard Schröder beherrscht die Medien wie kein anderer Politiker. Trotzdem ist er in Bedrängnis.

Schmidt: Ich sage nicht, dass es ihm sonderlich nützt. Ich sage nur: Wenn er's nicht könnte, wäre er verloren. Seit Ronald Reagan beherbergt das Weiße Haus Fernseh-Selbstdarsteller. Nur Bushs Vater wurde abgewählt: Er war ein zuverlässiger, berechenbarer Präsident, aber kein Fernsehstar.

Den Irak-Krieg sim-pel darzustellen, das kann hingegen Bush junior prima. Doch wenn er sich auf einem Flugzeugträger zeigt, in der Aufmachung eines Navy-Piloten, grenzt das an Manipulation.

SZ-Magazin: Das ist purer Populismus: tun und sagen, was dem Volk gefällt.

Schmidt: Ganz so einfach verhält es sich nicht. Ein glänzender populistischer Redner, der in der Sache absolut richtig lag, war in seiner Anfangszeit Ludwig Erhard. Oder denken Sie an Franz Josef Strauß, kein simples Gehirn, sondern ein schneller Denker und ein Redner mit erstaunlich umfassender Bildung. Er wollte zwar gefallen, aber Urteil hatte er auch.

SZ-Magazin: In halb Europa haben jetzt Populisten die Macht oder großen Einfluss.

Schmidt: In der Bundesrepublik hatten wir die Alten: Adenauer, Erhard, Kurt Schumacher. Es folgten die Kriegs- und die Nachkriegsgeneration. Jetzt regieren Jahrgänge, die ein relativ leichtes Leben hatten: leicht im Vergleich zu ihren Vorgängern, die drastisch gesagt durch die dicke Scheiße mussten.

Heute entscheiden Leute über Krieg und Frieden, die nicht aus eigener Erfahrung wissen, was Krieg bedeutet. Um Gottes willen, dafür können sie nichts. Aber sie sind nicht mit demselben Gepäck belastet, wenn sie ihre Entscheidungen tref-fen. Den Populisten eröffnet es Chancen.

SZ-Magazin: Sie meinen, wer ein schweres Los und Schicksal hatte, regiert besser?

Schmidt: Die Last der Verantwortung empfindet er stärker. Und jemanden ohne Kenntnis der Geschichte sollte man lieber nicht zum Regieren bestimmen. Vor allem ist die historische Bildung des Volkes unzureichend für die Entscheidungen, die das Volk trifft. Es reicht nicht, wenn ein Abiturient die drei polnischen Teilungen des 17. Jahrhunderts hersagen kann, aber übersieht, dass Hitler und Stalin unseren Nachbarn ein viertes Mal teilten und dann Stalin ganz allein ein fünftes Mal. Jeder Deutsche muss wissen, was dies für die polnische Seele bedeutet.

SZ-Magazin: Fühlten Sie sich als Kanzler nie überfordert?

Schmidt: Es klingt anmaßend, aber ich sage: Ich war nicht überfordert.

SZ-Magazin: Auch nicht, als es um das Leben von RAF-Geiseln ging?

Schmidt: Auch nachträglich betrachtet befand ich mich nie in einer Lage, in der ich nicht gewusst hätte, was zu tun ist. Die einzige Ausnahme war zurzeit der Lorenz-Entführung, da haben wir eine falsche Entscheidung getroffen.

SZ-Magazin: Da waren Sie überfordert?

Schmidt: Ich traf eine falsche Entscheidung. Gleich nach der Freilassung der Terroristen begriff ich, dass das falsch war. Ich hatte übrigens hohes Fieber, mein Arzt hatte mich mühsam mit Spritzen verhandlungsfähig gemacht.

SZ-Magazin: Politiker müssen oft Raubbau an ihren Kräften treiben. Kann das Regieren auf Dauer trotzdem Spaß machen?

Schmidt: Mir nicht. Ich wollte tun, was ich für meine Pflicht hielt. Als ich ging, war ich erleichtert.

SZ-Magazin: Bei der Hamburger Sturmflut 1962, die 300 Opfer forderte, bewährte sich auf Anhieb der junge Senator Schmidt als Krisenmanager.

Schmidt: Acht Jahre war ich Soldat gewesen, da lernt man einiges. Außerdem hatte ich Glück. Fast alle leitenden Hamburger Beamten, aber auch den NATO-Oberbefehlshaber Lauris Norstad kannte ich. Den rief ich an: "Ich brauche hundert Hubschrauber." Und er kannte mich. Persönliche Beziehungen sind hilfreich.

SZ-Magazin: Ihr Nachfolger Helmut Kohl verwendete deshalb viel Zeit darauf, mit Parteifreunden zu telefonieren.

Schmidt: Bei mir waren es andere Leute als die Parteisekretäre in der Provinz. Als Kanzler können Sie alte Freundschaften nicht so intensiv pflegen, wie Sie möchten. Dafür kann ein Regierender neue Freundschaften schließen und sie bei Bedarf nutzen. So zum Beispiel mit dem Ägypter Anwar al-Sadat.

SZ-Magazin: Als Kanzler tauschten Sie sich auch mit dem Philosophen Karl Popper oder dem Schriftsteller Max Frisch aus.

Schmidt: In der deutschen Geschichte gab's zahllose Regierungsstädte wie Weimar, Magdeburg, Köln, die freie Reichsstadt Frankfurt am Main, die katholischen Städte München, Bamberg, Würzburg, die Hansestädte Bremen oder Hamburg. So waren und bleiben die Intellektuellen verstreut, darum haben sie bis heute nicht dieselbe Einflussmacht wie ihre Pariser Kollegen.

SZ-Magazin: Gehört zum guten Regieren eine Hauptstadt?

Schmidt: Heikel ist es bereits, wenn ein Land zwei hat: Rom und Mailand. Noch heikler ist das Regieren in unserem Land der vielen Hauptstädte, ohne zentralstaatliche Tradition. Der französische Präsident und der britische Premier haben mehr Gestaltungsfreiheit als der Kanzler. Das wurde vorübergehend überdeckt durch die Figur Bismarcks und dann durch Adolf Nazi.

SZ-Magazin: Ist das Regieren eine Kunst, Helmut Schmidt?

Schmidt: Bloß ein Handwerk, das jeder auf seine Weise ausübt. Wie der Geheimrat Goethe im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach regierte und heute der amerikanische Präsident regiert, sind zwei Paar Schuh. Bismarck hatte andere Aufgaben als Schröder oder Schmidt. Das Handwerk lernte ich nach und nach.

SZ-Magazin: Kein Naturtalent?

Schmidt: Alexander der Große, der mit 33 starb und ein Reich geschaffen hatte, war ein Naturtalent. Sonst wird keiner als Regierender geboren. Bis an die Schwelle des Erwachsenenalters sogar noch, als ich mit 26 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte glaubte ich, meine Begabung sei die Architektur.

SZ-Magazin: Und wenn Sie heute Kanzler würden...

Schmidt: Gott behüte! Jedenfalls wäre ich in der Fernsehdemokratie zur groben Vereinfachung gezwungen. Ein guter Handwerker allerdings hat die Fähigkeit zu vereinfachen, ohne zu verfälschen. In der Sozial- und Finanzpolitik ist das am schwierigsten. Denn dem Publikum fehlt das Grundverständnis.

Ernsthafte Politiker wollen dieses Publikum überzeugen, statt es zu überrumpeln. Das Fernsehen aber verleitet zur Oberflächlichkeit weil Politiker wissen, dass sie in einer Talkshow bestenfalls neunzig Sekunden am Stück reden dürfen, bevor ein anderer dran ist.

Was können sie in neunzig Sekunden sagen außer Überschriften? Und sobald die Sache schwierig wird, zappt der Zuschauer auf Werder Bremen gegen Bayern.

© SZ-Magazin vom 21.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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