Interview:"Atomstreit kann sich zum Sprengsatz entwickeln"

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Tagelang haben sich die Verhandlungen hingezogen, mittlerweile ist der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD abgesegnet. Dass in einigen Punkten kein Kompromiss festgeschrieben wurde, könnte nach Aussage der Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp die große Koalition gefährden.

Thorsten Denkler

Sabine Kropp ist Politikwissenschaftlerin an der Uni Düsseldorf und forscht seit Jahren zu Koalitionen und Koalitionsvereinbarungen in Deutschland.

Sabine Kropp (Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Frau Kropp, der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD steht. Wahlversprechen wurden gebrochen, die Bürger werden stärker belastet. Ist der Vertrag ein Beitrag zur Politikverdrossenheit?

Sabine Kropp: Das glaube ich nicht. Beide Seiten waren gezwungen, von Wahlversprechen abzurücken. Aber gleichzeitig ist der Vertrag eine transparente Grundlage für die Politik der kommenden vier Jahre. Zur Polarisierung taugt er jedenfalls nicht, weil die beiden großen Volksparteien in einem Boot sitzen.

sueddeutsche.de: Müssen die Politiker gerade der großen Parteien nicht fürchten, dafür bei den kommenden Landtagswahlen im März abgestraft zu werden?

Kropp: Da wage ich keine Prognose. Wir haben gerade in diesem Bundestagswahlkampf gelernt, wie vorsichtig wir damit sein sollten. Viele Wähler entscheiden sich heute von Woche zu Woche neu.

sueddeutsche.de: Aber große Koalitionen stärken doch eher die Ränder?

Kropp: Nicht unbedingt. In Bremen etwa konnten CDU und SPD in der Großen Koalition sogar vorübergehend zulegen. Es kommt eher darauf an, ob die Probleme, etwa auf dem Arbeitsmarkt, gelöst werden.

sueddeutsche.de: Wie viel wird von Koalitionsverträgen im Schnitt umgesetzt?

Kropp: Prozentual lässt sich das nicht sagen. Aber alle Punkte werden nie umgesetzt, zumal während der Legislaturperiode ja auch immer neue Probleme auf die Tagesordnung kommen. Aber es gibt in etlichen Koalitionen seit Jahren die Neigung, regelmäßig zu überprüfen, was umgesetzt wurde und was noch umgesetzt werden muss. Allerdings hat ein solches Verfahren nur begrenzten Erfolg. Da die Vorschläge erst noch durch das parlamentarische Verfahren müssen, kann es durchaus noch zu Änderungen kommen.

sueddeutsche.de: Koalitionsverträge gibt es erst seit der sozialliberalen Regierung an 1969. Was hat sich seither geändert?

Kropp: Die Verträge sind detaillierter geworden. Früher wurden grob Handlungsfelder, Entscheidungsregeln und die möglichen Lösungen festgeschrieben. Heute wird vieles bis ins Detail hinein vereinbart. Vor allen die SPD und Grüne tendierten zu ausführlichen Abkommen - nun auch die jetzige schwarz-rote Koalition.

sueddeutsche.de: Was, wenn einer gegen den Koalitionsvertrag verstößt?

Kropp: Eine rechtliche Handhabe gibt es nicht. Entweder man nimmt ein Koalitionspartner den Vertrauensbruch hin und hofft, beim nächsten Projekt mehr zugunsten der eigenen Seite auszuhandeln. Oder aber die Koalition wird beendet - das wäre allerdings nur die letzte Lösung.

sueddeutsche.de: Was sollte nicht in Koalitionsverträgen stehen?

Kropp: Entscheidungen sollten nicht vertagt und es sollte nicht festgeschrieben werden, wo es unüberbrückbare Differenzen gibt. So gesehen wurden mit der Verschiebung der Debatte um die Reform der Sozialkassen und mit der Festlegung, der Atomstreit sei nicht lösbar, klassische Kardinalfehler gemacht. Dieses Vorgehen kann sich nun durchaus zu einem Sprengsatz entwickeln.

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