Internet in der arabischen Welt:Brodeln im Netz

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Es waren keine Internet-Revolutionen, die in den vergangenen Wochen in der arabischen Welt passierten - aber ohne das Internet hätte es wohl kaum eine von ihnen gegeben. Soziale Netzwerke und Blogs haben den Aufruhr entscheidend beeinflusst.

T. Neshitov und J. Rubner

Twitter, Facebook und Internet-Blogs haben den Aufruhr in der arabischen Welt entscheidend beeinflusst. Zwar waren die Revolten im Gegensatz zu den begeisterten Kommentaren einiger Beobachter keine "Internet-Revolutionen". Doch mit Hilfe des Netzes wurden die Proteste vielerorts organisiert. Das Internet war das Sprachrohr der Demonstranten, hier konnten sie ihrer Wut Luft machen, Aufrufe veröffentlichen und die Brutalität der Regime dokumentieren. Und es brodelt weiter im Internet - von Marokko bis Saudi-Arabien schwelt der Zorn, auch wenn er noch nicht ausgebrochen ist.

"Dieses Jahr oder nie. Lasst uns träumen. Träumen von einem demokratischen und freien Marokko. Von einer Monarchie des dritten Jahrtausends. Lasst uns träumen von einer Regierung, die regiert. Von einem Volk, das die Regierung wählt und von ihr Rechenschaft verlangt." Das schreibt Eihouria Elwatan auf Facebook nach den Demonstrationen am vergangenen Sonntag, bei denen in mehreren marokkanischen Städten erstmals Zehntausende Menschen für Reformen und eine Beschränkung der Macht von König Mohammed VI. demonstriert hatten. "Welcher Marokkaner hat nie dieses tiefe Gefühl der persönlichen Erniedrigung empfunden, das Bouazizi (der tunesische Gemüsehändler, der sich im Dezember 2010 selbst verbrannte und damit den Anstoß zu Protesten gab, Anm. der Red.) zu seinem Akt der Selbstverzweiflung brachte? Wer kennt nicht die kollektive Ungerechtigkeit, die eine Generation von Ägyptern und Tunesiern auf die Straßen getrieben hat? Es gibt viele Bouazizis in Marokko", klagt auch Zineb El Rhazoui auf voxmaroc.blog.lemonde.fr. Mohamed Casa ist überzeugt, dass "nichts auf der Welt unseren Wunsch und unser Bedürfnis nach Freiheit ändern wird. Es stimmt, dass es den Menschen an politischer Reife fehlt, aber das ist eine Frage der Zeit. Wir müssen nur anfangen. Es lebe die Revolution, es lebe die Freiheit, es lebe der Islam", lautet sein Appell auf lereveilmarocain.blogspot.com.

Andere zweifeln jedoch daran, dass Marokko sich erheben wird: "Anders als Tunesien sind die Marokkaner stolz auf ihren König und unterstützen ihn", schreibt Shayour auf www.expat-blog.com.

In Algerien herrscht nach der Aufhebung des Ausnahmezustands, der 19 Jahre währte, ein Gefühl der Spannung. "Heute hat das algerische Volk das Gefühl, dass die Geschichte sich wiederholt; wie ein Kind, das geschlagen wird; die Führer schlagen und halten ein ganzes Volk gefangen; ein Volk, das Hunger hat und den Wunsch hegt, dass die Führer mit ihm die Früchte der Revolution teilen. Korruption und Clan-Politik sind die Leitmotive des Systems", schreibt ein Unbekannter auf meilleurevieenalgerie.over-blog.com. Khaled Satour analysiert auf contredit.blogspot.com die Aussichten eines Aufstandes gegen das Regime von Präsident Abdelaziz Bouteflika: "Die Proteste sind derzeit nur vage Gesten. Es gibt eine finstere Wartehaltung angesichts der revolutionären Funken in den Städten. Man muss befürchten, dass es eher schlecht als gut ausgeht."

"Wandel ist möglich. Aber nur durch eine Revolution", schreibt Syriens bekanntester Blogger, Ahmad Abu Khair, auf Facebook. Vergangenen Sonntag wurde er verhaftet, um fünf Uhr morgens aus seinem Auto herausgerissen, als er von der Küstenstadt Banias nach Damaskus unterwegs war, berichteten seine Leser auf einer Facebook-Seite, die seine Freilassung fordert. Anfang Februar wurde auch die 19-jährige Bloggerin Tal al-Mallouhi zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie angeblich Informationen an die USA lieferte. Dazu kommentiert ein syrischer Doktorant, der in Paris lebt, auf all4syria.info: "Wir wissen alle um die Verschwörungen von Zionisten und ihren Agenten, aber das rechtfertigt nicht, dass dem eigenen Volk Freiheit verweigert wird. Herr Präsident, erlauben Sie der gebildeten und politisch wachen syrischen Jugend, ihre Forderungen zu präsentieren. Lassen Sie eine patriotische, aber freie Presse zu. Lassen Sie gleichberechtigte politische Parteien zu. Schaffen Sie das Notstandsgesetz ab, lockern Sie den Griff des Sicherheitsapparats am eigenen Volk und lassen Sie diesen Apparat lieber gegen Korruption und Terrorismus kämpfen."

In Saudi-Arabien haben Hunderte Bürger auf Facebook zu einem "Tag des Zorns" am 11. März, einem Freitag, aufgerufen. Während König Abdullah versucht, mit einer Lockerung des repressiven Mediengesetzes die Blogger zu beruhigen, hofft die Facebook-Gemeinde, dass der Freitagsprotest zu einer "Revolution in allen Städten des Königreichs" anschwillt. Auf Twitter sind zurzeit vor allem saudische Frauen aktiv. Und sie haben es nicht bloß auf den greisen König abgesehen. Auf #saudiwomenrevolution schreibt etwa @classicdiva: "Ich rufe saudische Frauen auf, jetzt zu handeln. Unsere saudischen Brüder haben uns verraten, das sind lauter Feiglinge. Handelt jetzt, bevor es zu spät ist!" Eine andere bewundert, dass sich so viele Frauen so schnell im Internet organisieren konnten, und fragt: "Ist das nicht genug, um zu beweisen, dass saudische Frauen genauso fähig sind wie jedes andere Menschenkind?!" Und sie stellen Forderungen: "Wir fordern ein Ende der männlichen Vormundschaft und das Recht, Auto zu fahren."

© SZ vom 26.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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