Internationale Presse zum EU-Referendum:"Der europäische Traum verdunstet mehr und mehr"

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So zerrissen wie die Europäische Union derzeit scheint, die Kommentatoren ihrer Zeitungen sind sich weitgehend einig in der Bewertung des irischen Neins zum EU-Vertrag: Ein grundlegendes Misstrauen gegen die EU sei die Ursache.

Irish Times (Dublin): "Die Menschen haben laut und deutlich gesprochen und den Vertrag von Lissabon abgelehnt. Aus Gründen, die innerhalb und außerhalb dieses Landes schwer zu erklären sind. Die Iren haben der politischen Elite zu Hause und den Regierungen und den Menschen in den 26 anderen EU-Staaten einen Schock mit katastrophalem Ausmaß beschert. Das Ergebnis katapultiert Irland in das Epizentrum einer neuen Krise für die Europäische Union und deren Zukunft."

Times (London): "Das Nein sagt weniger über Irland aus als über den Vertrag selbst. Er ist viel zu lang, absurd kompliziert und absichtlich undurchsichtig. Das (Votum) ist die Chance für Brown, die Führung von Europas konstruktiven Skeptikern zu übernehmen und Großbritannien das Referendum zu geben, das es verdient."

De Morgen (Brüssel): "Überall in Europa ist die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität eine politische Kraft geworden, die Gefühle hervorruft, die stärker sind als jede wirtschaftliche oder rationale Abwägung. Der europäische Traum verdunstet mehr und mehr."

La Libre Belgique (Brüssel): "Das Versprechen, eine Annäherung zwischen Europa und seinen Bürgern zu erreichen, wurde nicht erfüllt. Wurde die Union gestern noch als Segen für ein Land angesehen, dem sie sagenhafte wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnete, löst die Gemeinschaft heute nur noch Desinteresse, Ablehnung und - schlimmer noch - Misstrauen bei einer großen Mehrheit der Iren aus."

Gazeta Wyborcza (Warschau): "Es hat sich herausgestellt, dass ein wesentlicher Teil der Öffentlichkeit in verschiedenen Ländern aufgehört hat, den Sinn solcher Umgestaltungen zu verstehen und zu akzeptieren."

Corriere della Sera (Mailand): "Der Vertrag von Lissabon ist technisch gesehen tot. Und ein drittes europäisches Volk hat das konfuse Phantombild der ungeliebten Union an den Absender zurückgeschickt."

La Stampa (Turin): "Die Lektion, die uns Irland erteilt, ist im Grunde diese: Sogar ein Land, das auf dem Papier so Europa-solide scheint, kann jederzeit bei einer ganz normalen Volksabstimmung eine antieuropäische Seele offenbaren."

De Volkskrant (Amsterdam): "Die Anerkennung der Vorteile der ökonomischen Zusammenarbeit bedeutet nicht automatisch, dass die Bürger keinen Wert mehr auf Dinge wie Souveränität und nationale Identität legen. Gerade weil der Einfluss Brüssels inzwischen weit über die Wirtschaft hinausreicht, wächst die Unzufriedenheit mit dem undurchsichtigen und undemokratischen europäischen Integrationsprozess."

Romania libera (Bukarest): "Die Lektion dieses Referendums ist, dass sogar in Ländern, die theoretisch die europhilsten sein sollten, das Volk genug hat von so viel Europa. Die allgegenwärtigen europäischen Institutionen sind so kompliziert geworden, dass sie den einfachen Bürger entmutigen."

Salzburger Nachrichten: In Irland kursierten "ähnlich dumme Anti-EU-Lügen wie hier zu Lande. In Irland etwa hieß es, die EU wolle die Ein-Kind-Familie vorschreiben und die Abtreibung als Mittel gegen allfällige Überbevölkerung fördern. Doch auch der hanebüchenste Populisten-Stuss erklärt die Niederlage nicht. Dass es am Ende ein Nein zu Lissabon gab, das hat sich die EU selbst zuzuschreiben. Es ist ihr nicht gelungen, eine positive Botschaft für die Zukunft zu vermitteln."

Information (Kopenhagen): "Die Iren haben zweimal innerhalb eines Jahrzehnts Nein zu einem EU-Vertrag gesagt. Es könnte die Frage an sie angebracht sein, ob sie nicht in Wirklichkeit eine eher lockere Anbindung an Europa wie etwa Norwegen und die Schweiz vorziehen würden."

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