Integration:Gut gemeint, schlecht gemacht

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Das Projekt der multikulturellen Gesellschaft in den Niederlanden steht vor seiner Bewährungsprobe.

Von Frank Nienhuysen

Der Leichnam des ermordeten Filmemachers Theo van Gogh auf der Straße, züngelnde Flammen in einer Moschee: Tagelang haben Bilder der Gewalt die Szenerie in den Niederlanden bestimmt.

Königin Beatrix sprach in einem Jugendzentrum in amsterdam mit muslimischen Jugendlichen. Sie äußerte sich tief besorgt über die Ausschreitungen in ihrem Land. (Foto: Foto: dpa)

Jetzt will die Politik die Oberhand zurückgewinnen in dem ethnischen Konflikt, und der Ton ist scharf geworden. Abgeordnete im Den Haager Parlament riefen am Freitag dazu auf, Moscheen zu schließen, in denen Gewalt gepredigt werde. Und nur noch solche Imame dürften tätig sein, die in den Niederlanden islamische Religion studiert hätten.

Auch die für Integration zuständige Ministerin Rita Verdonk zieht Konsequenzen. Sie will Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft den niederländischen Pass entziehen, wenn sie als gewaltbereit eingestuft werden. "Wir waren einfach zu naiv, als wir glaubten, die Menschen würden in unserer Gesellschaft schon zusammenleben", sagt sie.

Die Integration lief bestens - aus der Ferne betrachtet

Vor allem zwei Gruppen stehen derzeit im Zentrum der Debatte: Einwanderer aus Marokko und aus der Türkei. Etwa zwei Drittel der etwa 900.000 Muslime in den Niederlanden stammen aus diesen beiden Mittelmeerstaaten, und aus der Ferne hatte es lange Zeit so ausgesehen, als verlaufe die Integration bestens. Selbst das niederländische Außenministerium aber räumt ein, dies sei "ein mühseliger Prozess".

Die Arbeitslosigkeit unter Türken und Marokkanern sei viermal so hoch wie unter der niederländisch-stämmigen Bevölkerung, heißt es in einem Bericht über die Integration von Minderheiten. "Sie haben sich in den vergangenen Jahren mehr um sich selber gekümmert als um andere", sagt Ministerin Verdonk. "Nie haben sie etwas über niederländische Werte gelernt."

Viele Niederländer werfen der politischen Führung nun vor, es mit der staatlich ausgerufenen Toleranz zu weit getrieben zu haben. Wie ein veraltetes Credo heißt es auf der Internetseite des Außenministeriums, der Staat habe sich bewusst für eine multikulturelle Gesellschaft entschieden, "in der jeder die Freiheit hat, nach seiner eigenen Kultur und Religion zu leben und die eigene Sprache zu sprechen".

Schwarze und weiße Schulen

Entsprechend liberal waren lange Zeit die Einwanderungsgesetze. Inzwischen aber schlägt das Pendel zurück. In manchen Vierteln der Großstädte wie Amsterdam oder Rotterdam ist der Anteil der aus dem Ausland stammenden Bürger so hoch, dass in den vergangenen Jahren viele Einheimische ihre Kinder von den Schulen nahmen und in andere Gebiete umzogen.

Anstatt dass man zusammenlebte, trat das Gegenteil ein: Es entstanden so genannte schwarze und weiße Schulen.

Die Folgen wiegen schwer: Das Soziale und Kulturelle Planungsbüro schätzt, dass fast eine halbe Million Einwanderer nur sehr gebrochen holländisch sprechen. Die Bildungsunterschiede wuchsen so schnell wie die Ghettos, in denen vor allem Marokkaner immer wieder an Gewalttaten beteiligt waren.

Nur, es galt lange als verpönt, darüber offen zu reden. Das ist jetzt anders. "Marokkaner raus", "Runter mit dem Kopftuch", war nach der Ermordung van Goghs im Internet zu lesen, und die Gefahr ist groß, dass die Integration noch schwieriger wird.

25 Prozent der Firmen stellen aus Prinzip keine Ausländer ein

Igor Boog vom Rotterdamer Landesbüro zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung sagte der Süddeutschen Zeitung: "Etwa 25 Prozent der Arbeitgeber ziehen es von vornherein vor, keine Leute einzustellen, die aus dem Ausland stammen. Sie behaupten, ihre Kunden wüssten oft nicht, wie sie mit Minderheiten umgehen müssten und wollten zum Beispiel nicht eine Frau mit Kopftuch."

Trotz allem hält Boog die Integration in den Niederlanden nicht für gescheitert. "Das wäre viel zu pauschal, der Prozess geht ja weiter", sagt er. Manchmal hätten die Sprachprobleme einfach nur praktische Ursachen.

"Die Zuwanderer sollen in Spezialkursen lernen, in der Gesellschaft zu überleben, aber viele Sprachkurse sind schlecht, weil sie nicht an das Niveau der Teilnehmer angepasst werden." Wenn die Regierung aber weiterhin negative Signale aussende, wonach die Integration missglückt sei, würde dies nur wichtige Initiativen erschweren.

Guter Japaner, böser Marokkaner

"Dann werden die Stereotypen noch stärker", warnt Boog. Dennoch, die Regierung ist fest entschlossen, die Zuwanderung deutlich zu beschränken. Seit zwei Wochen gelten bereits verschärfte Auflagen für den Nachzug ausländischer Ehepartner. Offiziell wären auch Amerikaner oder Japaner betroffen.

Die eigentlichen Adressaten aber sind klar: Es sind vor allem Marokkaner und Türken, die bereits einen niederländischen Pass haben - aber oftmals Partner aus ihrer Heimat heiraten.

© SZ vom 13.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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