Initiativen gegen Rechtsextremismus:Lichter aus im Schützenhaus

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Justiz, Polizei und viele Bürger organisieren sich neu gegen die Ausländerfeindlichkeit - doch die Politik verharmlost und versagt.

Heribert Prantl

Das löbliche Projekt steht unter einem bombastischen Motto: Aufstand der Anständigen. Man hätte vielleicht bescheidener sein und sich nicht selbst so beweihräuchern sollen.

Der Aufstand der Anständigen: Man findet ihn - zum Beispiel in Wunsiedel, Verden und Pößneck. (Foto: Foto: Reuters)

Das Grundgesetz sagt es schlicht: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - so lautet sein erster Satz. Und im zweiten steht, was Aufgabe des Staates ist: "Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt". Die Politik hat einen Aufstand aus dieser Verpflichtung gemacht.

Wer heute diesen "Aufstand der Anständigen" finden will, muss ihn lange suchen. Im Bundeskanzleramt (dort hatte der Bundeskanzler diesen Aufstand nach einer Serie neonazistischer Attentate im Herbst 2000 ausgerufen), findet er jetzt eine Kanzlerin, die nach dem jüngsten Anschlag immerhin erklärt hat, sie sei "betroffen". Im Bundesinnenministerium findet er einen Minister, der vor Übertreibung und Hysterie warnt.

In Potsdam findet er einen halbtot geschlagenen schwarzen Deutschen und daneben einen Landesinnenminister, der sagt, das sei nicht schlimm genug, um das Eingreifen des Generalbundesanwalts zu rechtfertigen. Im Bundesverfassungsgericht zu Karlsruhe findet er einen gewaltigen Stapel von verschnürten Akten;

Es gibt nach wie vor No-go-areas in Ostdeutschland

Es handelt sich um die Überreste des Verbotsantrags, den Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung vor fünf Jahren gegen die NPD gestellt haben - der aber dann an einem Aufstand der Sicherheitsbehörden scheiterte, die sich weigerten, dem höchsten Gericht ihre geheimen V-Leute zu benennen. Nun steht die NPD vor dem Sprung in den Landtag von Schwerin; es ist dies eine Partei, in die ihr Chef, der Hauptmann a.D. Udo Voigt, zahlreiche Kriminelle geholt hat.

Wo ist der Aufstand der Anständigen? Wer ihn in den Polizeidirektionen Ostdeutschlands sucht, der findet dort sehr viel mehr engagierte Polizeiführer als früher, er findet aber auch Statistiken, wonach die fremdenfeindlichen und antisemitischen Gewalttaten noch immer so zahlreich sind wie vor fünf Jahren. Es gibt nach wie vor No-go-areas in der Uckermark, in der Sächsischen Schweiz und in Vorpommern, in die man als ausländisch aussehender Mensch besser nicht hingeht; es gibt Angst-Räume wie den Berliner S-Bahnhof Schöneweide;

es gibt Ecken in diesem Land, in Anklam-Ost beispielsweise, über die Sozialarbeiter in Stunden der Verzweiflung sagen, da könnte man einen Zaun darum machen, und ihn als "Wildpark für Rechtsradikale" ausschildern.

54 Prozent der Deutschen sehen eine "Gefahr der Überfremdung"

Die Statistiken der Opferverbände verzeichnen allein im Osten Deutschlands 28 rechtsradikale Straftaten täglich, davon zwei Gewalttaten. "Extreme Einzelfälle" seien das, sagen Kommunalpolitiker, wenn einer dieser Fälle bundesweit bekannt wird - wie der am 9. Januar 2006 im kleinen Dorf Pömmelte bei Magdeburg: Fünf Männer lauerten einem Zwölfjährigen auf, drückten ihm eine Zigarette ins Gesicht, zwangen ihn, ihre Stiefel abzulecken; dann schlugen sie ihn zusammen. Der Grund: Der Bub hat einen äthiopischen Vater, seine Haut ist dunkler als die anderer deutscher Kinder.

Es gibt im Osten zwar nicht einmal eine Ahnung von der angeblich naiven Multikulti-Gesellschaft, über die der bayerische CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber lamentiert. Im Osten leben heute weniger Menschen nichtdeutscher Herkunft als vor zehn Jahren. Dafür werden aber heute mehr vietnamesische Imbiss- und türkische Dönerbuden abgefackelt als damals; Versicherungsschutz dafür gibt es nicht. Den Versicherungsgesellschaften ist das Risiko zu hoch.

Und die Sympathien für die Opfer sind gedämpfter als vor zehn Jahren. Die Stimmung auch der Anständigen hat sich in ganz Deutschland gedreht seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und den islamistischen Gewalttaten seitdem. Einer neuen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zufolge wächst die Distanz der Bundesbürger zu den Fremden: 54 Prozent der Deutschen sehen in den hier lebenden Ausländern eine "Gefahr der Überfremdung"; vor fünf Jahren waren es nur 33 Prozent.

Im Internet (das auf seinen braunen Seiten einer Fäkaliengrube des Gemeinwesens ähnelt), findet man auf der Suche nach dem Aufstand der Anständigen heraus, dass der seinerzeit gegründete "Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration", der die Politik nach Art der Wirtschaftsweisen beraten sollte, schon am 23. Dezember 2004 vom damaligen Bundesinnenminister klammheimlich wieder entlassen worden ist; der Sachverständigenrat hatte nämlich anderes geraten, als die herrschende Politik das damals für richtig hielt.

Dementsprechend ratlos ist jetzt die politische Debatte über Ausländerfeindlichkeit im Allgemeinen und über die Rütli-Schule im Besonderen. Aus dem "Bündnis für Demokratie und Toleranz" schließlich, das seinerzeit als Schalt- und Koordinationsstelle für zivilgesellschaftliche Aktivitäten gegründet wurde, ist ein Ort des finanziellen Durcheinanders geworden, dessen Direktor mit einem Frühpensionierungsantrag auf Vorwürfe der internen Revision des Bundesinnenministeriums reagiert hat, die er als "Jagd" auf ihn bezeichnet.

Nicht nur in diesem Fall leidet der Aufstand der Anständigen daran, dass es am Anstand der Zuständigen fehlt.

"Bei uns ist nur der Kaffee braun"

Der Aufstand der Anständigen: Man findet ihn, zum Beispiel, in Wunsiedel, wo mit der Initiative "Wunsiedel ist bunt" und einem "Fest der Demokratie" der öffentliche Raum besetzt und die alljährlichen Neonazi-Umzüge zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß vertrieben werden. Man findet ihn im niedersächischen Verden und Umgebung. Dort hat eine obskure "Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation" aus London (dahinter steht der Hamburger Anwalt und Rechtsextremist Jürgen Rieger, der seit vielen Jahren die Rudolf-Heß-Märsche in Wunsiedel anmeldet), den "Heisenhof" in Dörverden erworben und zum Neonazi-Treffpunkt ausgebaut.

120 Vereine und Organisationen haben dort ("Bei uns ist nur der Kaffee braun") gegen Neonazi-Aufmärsche mobil gemacht; und die Bürger des Städtchens laufen an den Sonntagen am Zaun des Heisenhofs Patrouille - den Aufruf dazu unterstützen unter anderen CDU, Hegering, Kirchengemeinde und Biolandgruppe, die Aktionen werden intensiv begleitet und beworben vom Weser-Kurier, der Regionalzeitung. Eine Verdener Schülermüllabfuhr vom Schülerbündnis KONTrassT hat eine braune Sondermülltonne aufgestellt, in der die rechtsextremen Flugblätter landen.

Auch in Pößneck in Thüringen hat sich die braune Fertilisationsstiftung aus London eingekauft und, gegenüber vom Rathaus, das Schützenhaus, das wie ein Stadtschloss aussieht, ersteigert und zu einem braunen Haus ausgebaut, gelegen zwischen der Straße des Friedens und der Geschwister-Scholl-Straße. In Pößneck versucht ein "Aktionsbündnis für Courage", das sich ABC nennt, örtliche Aufstände wie im niedersächsischen Verden zu organisieren.

Puzzle-Aktionen für ein aufgewecktes Gemeinwesen

Unlängst haben sich in Pößneck acht Jugendinitiativen gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zum Erfahrungsaustausch getroffen; die Gruppen aus Wunsiedel und Verden waren auch da. Als sie zum Abschluss gemeinsam demonstrieren wollten und die Parolen "5 vor 12 die Nazis stoppen" und "Lichter aus im Schützenhaus" durchs Städtchen tragen wollten, griff die Polizei mit der Bemerkung ein, solche Sprüche hätten doch mit Demokratie nichts zu tun und störten überdies die Sonntagsruhe.

Wunsiedel, Verden, Pößneck: Solche Initiativen gibt es mehr und mehr in diesem Land seit dem von Kanzler Schröder ausgerufenen "Bündnis für Demokratie und Toleranz"; es gibt Opferberatungsstellen und mobile Einsatzteams. Es sind dies Aufstände von unten, Puzzle-Aktionen für ein aufgewecktes Gemeinwesen und gegen Fremdenfeindlichkeit, gefördert von Programmen der Bundesregierung namens "Xenos" und "Civitas"; die sind damals, im Sommer der Aufständigen, erstmals aufgelegt worden.

Ausgerechnet dieser Graswurzelarbeit droht die partielle Austrocknung - die Mittel sollen geteilt werden, weil die CDU/CSU fordert, das Geld auch für die Arbeit gegen den gewalttätigen Linksextremismus (den es kaum gibt) und gegen den gewalttätigen Islamismus auszugeben (den es sehr wohl und sehr gefährlich gibt), dessen Bekämpfung aber nicht auf Kosten der Arbeit gegen die Neonazis gehen sollte.

Die Sozialarbeiter, die für die Projekte vor Ort eingestellt wurden, stehen, kaum dass sie begonnen haben, schon vor dem Aus - ihre Arbeit ist jahres- und projektbezogen, Festanstellungen gibt es nicht. Dabei ist Jugendarbeit zumal in schwierigen Milieus eine langsame Arbeit, mit der Vertrauen mühselig aufgebaut werden muss. Es ist nicht gelungen, das vom Bund ausgerufene "Bündnis für Demokratie und Toleranz" mit den Bundesländern und Kommunen so zu verzahnen, dass aus kurzzeitiger Projektarbeit etwas Dauerndes wird.

Und so ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland eine politische Saisonarbeit. Diese Saison dauert jeweils nicht lange. Sie beginnt damit, dass ein Ausländer ganz oder halb erschlagen wird, oder auch damit, dass eine braune Partei bei Wahlen Erfolg hat und in ein Parlament einzieht. Dann weint und warnt die deutsche Politik, streut sich Asche aufs Haupt, beklagt ihre Defizite, mahnt zur Wachsamkeit und beschwört sich und die Wähler, aufzupassen.

Das Mahnen und Warnen dauert einige Zeit, dann ist wieder Alltag

Und die Zeitungskommentatoren schreiben, es gebe immerhin ein Gutes am stattlichen Ergebnis für DVU, NPD oder Republikaner: Nun könne niemand mehr die Augen vor dem Rechtsextremismus verschließen. So ähnlich liest und hört man es auch nach einem ausländerfeindlichen Überfall. Das Mahnen und Warnen und Beschwören dauert dann einige Zeit, in dieser Zeit fließt dann auch anständig Geld in anständige Projekte. Aber dann ist wieder Alltag.

So ist es heute, und so war es gestern. Zum Beispiel im Jahr 1998: Damals gewann die braune DVU bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 12,9 Prozent der Stimmen. Die Reaktion war wie oben beschrieben. Fünf Monate später wurde in Bayern gewählt - und als dort die rechtsradikalen Republikaner nur 3,6 Prozent der Stimmen erreichten, galt dies allenthalben schon wieder als Entwarnung. Die fast 13 Prozent im Osten galten als repariert, und die bayerischen 3,6 Prozent wurden gar als Signal für das Verschwinden des Rechtsextremismus bewertet.

Dahinter steckt der Irrglaube, man könne dessen aktuelle Gefährlichkeit im Wesentlichen an den aktuellen Wahlergebnissen der rechtsextremistischen Parteien messen. Manchmal wird das schlechte Gewissen von vornherein dadurch beruhigt, dass ein Polizeibericht oder ein Politiker ein erstochenes oder zertrampeltes Opfer quasi zum Mittäter macht - weil es die Streitigkeit provoziert oder sonst mitgestaltet habe. Das trägt dazu bei, Empörung und Entrüstung zu drosseln und beim nächsten Mal gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Die Justiz schaute auf die Taten wie durch Milchglas

Ausgerechnet die Staatsgewalt, von der es früher oft hieß, sie sei auf dem rechten Auge blind, ist diejenige geworden, die heute auf gewalttätigen Rechtsextremismus am konsequentesten reagiert: Justitia hat die Augenbinde abgelegt. Die Strafjustiz hatte lange gebraucht, um einzusehen, dass ein Mord auch dann ein Mord ist, wenn Flüchtlinge ermordet werden. Sie hatte lange gebraucht, um festzustellen, dass das Werfen von Brandflaschen auch dann vielfach versuchten Mord darstellt, wenn sie in ein Asylbewerberheim geworfen werden.

Die deutsche Justiz hat erst Hunderte Brandanschläge sehen, erst Hunderte Überfälle zählen, erst auf eine rauchende Synagoge schauen müssen, um das zu tun, was sie gelernt hat: die Merkmale eines Kapitaldelikts zu erkennen.

Jahrelang waren Flüchtlingsunterkünfte angezündet und Menschen totgeschlagen worden - und die Justiz schaute auf diese Taten wie durch ein Milchglas. 1990 wurde in Eberswalde der Angolaner Amadeu Antonio Kiowa von einem Pulk Radikaler erschlagen, die zum "Negeraufklatschen" losgezogen waren. Er starb an einem Tritt in die Augenhöhle. Mord? Totschlag? Mitnichten. Körperverletzung mit Todesfolge und Landfriedensbruch. Den Namen des Toten trägt heute eine Stiftung, die sehr couragiert gegen den Rechtsextremismus arbeitet.

Im Jahr 1994 erzwang der Bundesgerichtshof in zwei Urteilen Korrekturen an einer zu nachsichtigen Rechtsprechung. Bis dahin hatten die Täter glauben können, die Justiz betrachte das Anzünden von Wohnhäusern dann als einen pubertären Streich, wenn Ausländer darin wohnen. Günter Hirsch, der Präsident des Bundesgerichtshofs, erklärte in einem Interview, die Justiz sei keine "politikfreie Enklave im politischen Raum" und müsse auf den Rechtsradikalismus eine Antwort finden.

Und im Zuge des Aufstands der Anständigen lernten dann viele Staatsanwälte und Richter, die Hintergründe fremdenfeindlicher Verbrechen zu sehen und die Vernetzung der Täter in der rechtsextremen Szene zu eruieren; zuvor waren sie bemüht gewesen, den Täter im Strafverfahren aus seinem braunen Kokon regelrecht herauszuschälen.

NPD und DVU sind die Parteien der deutschen Einheit

Jetzt greift die Bundesanwaltschaft in diesen Kokon - und wird von Landesministern dafür gescholten; diese reden gern von "vorübergehenden Verfehlungen irregeleiteter junger Menschen", die "aus einer jugendlichen Protesthaltung heraus" begangen würden - und propagieren entschuldigend, wie dies die Kanzlerin jüngst getan hat, einen angeblich schicksalhaften Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus (damit geht man der NPD-Propaganda auf den Leim).

Arbeitslosigkeit macht aber, wie die Konflikt- und Gewaltforschung mittlerweile weiß, keinen zum Neonazi. Und rechtsradikale Einstellungen ändern sich nicht, wenn man einen Job bekommt. Bundestagsvizepräsident Thierse sieht das so: "Die Jungen setzen nachts das in die Tat um, was ihnen die Eltern am Abendbrottisch erzählen."

Wie die Alten sungen: Die Neonazis sind, zumal im Osten, fest etabliert. Ihre Funktionäre sind nicht mehr - wie vor Jahrzehnten im Westen - nostalgische Altnazis. Der Brückenschlag von West nach Ost ist den rechtsextremistischen Parteien NPD und DVU besser gelungen als den anderen Parteien. Sie sind, und im Sarkasmus steckt mehr als ein Korn Wahrheit, die Parteien der deutschen Einheit. Der neue Rechtsextremismus ist eine junge Bewegung, die auf den alten braunen Vorurteilen steht.

Das ist die gefährliche Basis für ausländerfeindliche Gewalt.

© SZ vom 6.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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