Indonesien:Wahl im Wunderland der Demokratie

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Indonesien hat die Zeit der Diktatur schnell hinter sich gelassen - die Moderatorin und Parlamentskandidatin Rieke Pitaloka ist der Beweis dafür.

Oliver Meiler, Jakarta

An der Sprache der Hände erkennt man das innere Ringen. Und Rieke Pitaloka spricht viel mit ihren Händen. Sie führt ihre Worte in der Luft an, mit figurierten Gänsefüßchen, beide Hände in der Höhe, Zeige- und Mittelfinger wippend. Als erscheine ihr das eigene Reden zuweilen als allzu direkt.

Der indonesische Vizepräsident Jusuf Kalla und seine Frau Mufidah geben ihre Stimmen ab. (Foto: Foto: dpa)

Manchmal sucht sie nach den passenden Dokumenten und Statistiken in ihrem Computer. Damit gewinnt sie Zeit, um den Tonfall zu moderieren. Gibt aber bald auf: "Ich muss sagen, was ich denke." Auch dann, wenn die Moderatorin die Nachrichten liest für Trans TV, einen der großen, jungen Privatfernsehsender in Indonesien.

Die Studios sind in Süd-Jakarta, auf dem Weg vom Zentrum zum Flughafen, untergebracht in einem hohen Glasbau an einer Ausfallstraße mit zehn Spuren. Pitaloka führt auf Trans TV durch das Morgenprogramm und sie wird als Kandidatin der Demokratischen Partei des Kampfes wohl am 9. April ins Parlament gewählt.

Ihre Sendung heißt "Good Morning" und hat wegen der schönen Moderatorin und Polit-Aktivistin hohe Einschaltquoten. Politik, Kriminalität, Wetter, Klatsch - Pitaloka lässt jeweils ihre Notizen sinken und sagt, was sie von der Aktualität hält, die sie vorträgt, frei und progressiv. Ohne Gänsefüßchen. Die Produzenten lieben es, aufregend soll es sein, tabulos.

Am liebsten kommentiert Pitaloka Gesellschaftsthemen. Polygamie etwa, sie ist natürlich dagegen. Der Machismo sei ein altes Übel, der viele Entwicklungen hemme. Oder Armut: eine unentschuldbare Schande für eine Nation, die Öl fördert und alle ernähren könnte, wenn der politische Wille da wäre.

Die Lebensmittelpreise sind viel zu hoch. Die Menschenrechte? Noch immer nicht dort, wo sie sein sollten. Kondome? Sollten gratis verteilt werden, mögen die Kleriker auch aufschreien. Das harte Gesetz gegen Pornographie? Eine Bigotterie, eine Konzession der Regierung an die islamischen Fundamentalisten. Und Religion? Ist Privatsache, findet sie.

Alle hören hin, Millionen Fernsehzuschauer jeden Morgen, 8.30 Uhr. Nicht allen gefällt, was sie hören. Islamisten haben schon gedroht, Pitaloka werde bezahlen müssen für ihre Häresien. Sie sei eine Provokateurin, sagen die Leute der Islamic Defender Front, eine gewalttätige Gruppe selbsternannter Verteidiger des Islam, die prügelnd durch Nachtklubs ziehen und Frauen mit unverschleiertem Haupt verunglimpfen. Sie haben Pitaloka vorgeworfen, sie stifte zu Prostitution und Pornographie an.

"Natürlich machen mir die Drohungen Angst", sagt sie, "aber ich mache weiter. Es geht um Pluralismus. Diese Leute müssen verstehen, dass der Staat säkular ist. Sie hassen mich dafür."

Pitaloka ist ein Star in Indonesien, Schauspielerin und Dichterin, 35 Jahre alt. Ihr Leben bietet den Hochglanzmagazinen Stoff. Jüngst hat sie einen Sohn geboren. Die Zeitungen berichteten darüber, dass ihr die Ärzte zum Kaiserschnitt geraten hätten, sie aber abgelehnt habe. Die Daten des Jungen: 2,93 Kilogramm schwer, 51,3 Zentimeter lang.

Die Nation kennt auch den Namen des Sprösslings, Sagara Kawani Adiansyah, das sei Sundanesisch und bedeute "Meer voll Mut". Ganz die Mutter. Sie ist eine Celebrity. Spielt Theater, schreibt Gedichtbände, führt durch eine Büchersendung.

Und bald wird sie wohl im Parlament dieser stabilsten aller Demokratien im Südosten Asiens sitzen. Die Demokratische Partei des Kampfes ist bisher die Oppositionspartei von Megawati Sukarnoputri, Ex-Präsidentin und Tochter des ersten indonesischen Präsidenten Sukarno, Staatschef von 1945 bis 1967.

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In den vergangenen zehn Jahren hat sich Indonesien von einer Diktatur zu einer Demokratie gewandelt. Ohne Traumata, ohne falsche Scheinheiligkeit. Nicht alles ist perfekt, wie soll es auch?

Es gibt noch immer Spannungen auf Papua. In Aceh wackelt der Frieden. Islamistische Hardliner strapazieren die gesellschaftliche Harmonie im ganzen Land. Trotz Fortschritten grassiert noch immer Korruption. Das Militär sitzt gefährlich nahe an der Politik, in ihrem Nacken verharrt es, bereit für alle Eventualitäten.

Und doch ist alles viel besser, als es die Prognosen 1998 ahnen ließen, als Suharto nach 31 Jahren eiserner Herrschaft stürzte. Es ging damals die Sorge um, dieses große Land mit seinen 240 Millionen Einwohnern, seinen vielen Stämmen und Sprachen und Inseln würde auseinanderbrechen, wenn es nicht mit harter Hand zusammengehalten werde. Von einer drohenden Balkanisierung war die Rede.

Es kam anders. Der Singapurer Diplomat und Buchautor Kishore Mahbubani, einer der Vordenker in der Region, spricht vom "Wunder der indonesischen Demokratie" und vom "indonesischen Modell". Die Indonesier, sagt er, hätten die Philippiner, Malaysier und Thailänder unterdessen überholt.

Die US-Denkfabrik Freedom House, die Länder nach dem Grad ihrer gesellschaftlichen und politischen Freiheiten klassiert, führt Indonesien als einziges "freies" Land in Südostasien. Die Medien berichten frei und kritisch über die Unzulänglichkeiten der Mächtigen und über die Verbohrtheit einiger Geistlicher. Unter allen muslimischen Ländern - Indonesien ist das bevölkerungsreichste - ist dieses das demokratischste, toleranteste, säkularste.

Die scharfzüngige Moderatorin Pitaloka steht wie ein wandelnder Beweis dafür. Und nun, bei der dritten Parlamentswahl seit dem Sturz Suhartos, bewerben sich mehr Kandidaten für die 560 Sitze als je zuvor, mehr als 11.000 sind es. Zum ersten Mal können die Kandidaten direkt gewählt werden. Zuvor gab es nur geschlossene Parteilisten. Deshalb sind nun die Personen plötzlich wichtig, wahrscheinlich viel wichtiger als das Programm. Die Gesichter sollen populär sein, man soll sie auf den ersten Blick erkennen. So fanden in den vergangenen Monaten mehrere Hundert Stars und Starlets, Schönheitsköniginnen und Tänzer, Seifenopernstars und Sportler den Weg in die Politik.

Nicht alle dieser Kandidaten sind gleich gut vorbereitet auf ihre angestrebte neue Tätigkeit, einige tapsen recht unbeholfen durch die abendlichen Talkshows. Doch sie gelten im Volk als unverbraucht und korruptionsfrei, was als ganz besondere Tugend gilt in diesem Geschäft. Die Indonesier nennen sie Künstler. Das trifft es bei den meisten, irgendwie. Einer dieser Artisten sagte unlängst, er fühle sich dem einfachen Volk viel näher und verbundener als herkömmliche Politiker, weil er oft auch Armen Autogramme gebe. Daraus spricht wohl die Perspektive des Künstlers.

Pitaloka allerdings war schon immer eine engagierte Aktivistin. Sie sitzt in einem Café von Trans TV, kurz vor Mittag, "Good Morning" ist vorbei, Reportercrews in bizarr schwarzen Uniformen warten in der Lobby. Zum Gespräch hat Pitaloka eine Assistentin und einen Übersetzer mitgebracht.

Es soll gut werden, dieses Interview mit der ausländischen Presse. Und darum spricht sie lieber Bahasa, eine runde Sprache mit vielen Wortwiederholungen und gerolltem R. Sie sagt, sie sei des Englischen nicht genügend mächtig. Der junge, nervös lächelnde Dolmetscher müht sich redlich, die Chefin passend zu übersetzen, doch es will nicht gelingen. Pitaloka redet, hört sich die Übersetzung an und findet meistens, dass sie das anders gesagt hätte und spricht Englisch.

Bekannt wurde sie einst als Hauptdarstellerin in "Bajaj Bajuri", einer Soapopera. Darin gab sie die etwas dümmliche Frau Oneng eines einfachen, rundbäuchigen Bajaj-Fahrers. Bajaj heißen die motorisierten Dreiräder aus indischer Fabrikation, die einen in Jakarta für wenige Rupiah durch den verrückten Verkehr bringen.

Die Serie spielte in bescheidenem Milieu, war aber in allen Schichten so populär, dass für den Fastenmonat Ramadan jeweils längere Episoden gedreht wurden. Zur Beliebtheit Pitalokas trug bei, dass sich die kämpferische Frau in ihrer Rolle selbst ironisierte.

Das hilft ihr jetzt. Sie gilt trotz des Glamours ihres Starlebens als bodenständig. Hinter ihrem bürgerlichen Namen nennen die Zeitungen immer ihren künstlerischen Namen aus Bajaj Bajuri: Oneng eben. Auch die Partei hausiert gerne mit Pitalokas Doppelrolle. Die Kandidatin kennt die Ideologie ihrer Partei auswendig, es ist die Doktrin Sukarnos, ein Balanceakt für den Zusammenhalt eines ethnisch und geographisch zerrissenen Volkes: Pancasila, Sanskrit für "fünf Prinzipien".

Pitaloka rezitiert die fünf Punkte aus der Verfassungspräambel. Erstens: Glauben an den einen und alleinigen Gott. Zweitens: Humanismus und Internationalismus. Drittens: nationale Einheit. Viertens: Demokratie. Fünftens: soziale Gerechtigkeit.

Für konservative Muslime ist Sukarnos Doktrin zu säkular. Im ersten Punkt, so finden sie, müsste stehen, dass es sich um den Gott der Muslime handelt, um Allah, und nur um ihn. Anstelle der demokratischen Republik sähen sie lieber einen islamischen Staat. In zwei Dutzend der 450 Verwaltungsbezirke Indonesiens sind Bruchstücke aus der Scharia in Kraft.

"Das sind lokale Regelungen, sie erschüttern die Stabilität der säkularen Demokratie in keiner Weise", sagt Sidney Jones von der International Crisis Group, Kennerin des politischen Islam und des Terrorismus in Indonesien. Jones erklärt den Erfolg des indonesischen Modells damit, dass ein überwältigend großer Teil der Bevölkerung zwar tief gläubig, gleichzeitig aber auch tolerant sei.

Im Gegensatz etwa zum Islam im Nahen und Mittleren Osten ist der indonesische von Elementen anderer Religionen durchzogen, vor allem von buddhistischen und hinduistischen. Und so dürften die gemäßigt islamistischen Parteien, die an den kommenden Wahlen teilnehmen, insgesamt wohl wieder nicht mehr als zehn Prozent der Stimmen erreichen. Sie werden nicht müde, ihr Bekenntnis zur Demokratie zu erneuern. Die Demokratie hat Wunder gewirkt.

Einige Stunden nach dem Gespräch im Fernsehgebäude tritt Pitaloka in einer Parteiveranstaltung auf. Sie hat sich umgezogen, trägt eine weiße, hochgeschlossene Bluse zur grauen Hose. Und eine Brille trägt sie auch. Damit sieht sie streng aus. Sie lächelt auch kaum mehr, die Hände liegen bewegungslos auf den Knien. Keine Gänsefüßchen in der Luft. Sie lebt die Doppelrolle für Indonesien.

© SZ vom 09.04.2009/bavo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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