Horst Köhler verabschiedet Franz Müntefering:"Sie werden mir fehlen"

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Für Franz Müntefering muss es ein bewegender Moment gewesen sein, als Bundespräsident Horst Köhler ihm seine Entlassungsurkunde überreichte.

Thorsten Denkler, Berlin

Es muss ein bewegender Moment für Franz Müntefering sein: Punkt 11.31 Uhr betritt der scheidende Bundesarbeitsminister den Großen Saal in Schloss Bellevue. Mit einem breiten Lächeln marschiert er direkt auf die Phalanx der Fotografen und Kamerateams zu und sucht auf dem Boden den vorher markierten Punkt, auf dem er während der Zeremonie zu stehen hat.

Zwei Männer und eine Frau begleiten Müntefering an diesem Tag auf seinem letzten Weg in Amt und Würden: Bundespräsident Horst Köhler, Kanzlerin Angela Merkel und Amtsnachfolger Olaf Scholz.

Alle vier stehen für einige Sekunden regungslos nebeneinander, jeweils zwei Armlängen voneinander entfernt, als warteten sie darauf, dass jemand das Startsignal gibt.

"Ich darf dann also die Urkunden übergeben", sagt Köhler etwas überraschend. Er kommt seiner Amtspflicht nach, Minister auf Vorschlag der Kanzlerin zu ernennen und zu entlassen.

Es ist ein sehr förmlicher Akt, der nur wenige Minuten dauert. Köhler nutzt ihn für eine kleine menschliche Geste: "Sie werden mir fehlen", sagt er so leise, dass es kaum jemand hören kann.

Ein fester Handschlag, Müntefering ist jetzt Ex-Minister

Dann liest er die Urkunde vor, die ihm ein Mitarbeiter zuvor gegeben hat. Darin ist von "Dank und Anerkennung" die Rede, von "geleisteten Treuediensten". Ein breites Köhler-Lächeln, ein fester Handschlag, Müntefering ist jetzt Ex-Minister.

Köhler tritt einen Schritt zurück, um Merkel die Gelegenheit zu geben. Jetzt darf auch die Kanzlerin ihren Minister verabschieden.

Es ist ein kurzer Händedruck. Auch Merkel lächelt. Vielmehr ist es die Ahnung eines Lächelns. Auf die Frage, was denn die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben, nämlich seine Frau und die Kanzklerin, zu seinem Rücktritt sagen, antwortete Müntefering vergangene Woche: "Meine Frau findets gut. Frau Merkel nicht." Daran, hat sich bis heute offenbar nichts geändert.

Das schaffst du schon, Olaf.

Olaf Scholz ist an der Reihe. Artig stellt er sich vor den Bundespräsidenten. Von dem bekommt er nicht mehr zu hören, als auch in der Urkunde steht. Hände schütteln Köhler, Hände schütteln Merkel. Scholz ist jetzt Minister.

Völlig außerhalb des Protokolls gratuliert Müntefering seinem Nachfolger. Ein fester Händeschlag, ein aufmunternder Schulterklopfer. Als wolle Müntefering sagen: Das schaffst du schon, Olaf.

Der Tag beginnt für Müntefering wie nahezu jeder Mittwoch in den vergangenen beiden Jahren Großer Koalition. Früh am Morgen parken die Chauffeuere der SPD-Minister im Kabinett ihre Limousinen vor dem Arbeitsministerium, der bisherigen Schaltzentrale des Vizekanzlers. Ihre Chefinen und Chefs treffen sich hier immer vor der Kabinettssitzung zur Vorbesprechung. Um 9:15 Uhr ein Vieraugengespräch mit der Kanzlerin, um 9:30 Uhr Kabinett.

Merkel bedankte sich hier "ganz, ganz herzlich" für die geleistete Arbeit. Müntefering sei einer der "Architekten dieser Großen Koalition". Dies sei ein besonderer Tag, "an dem wir Demut haben". Demut, eines der Lieblingswörter der Kanzlerin.

Als Geschenk gibt es einen roten Fußball mit schwarzem Muster. Müntefering sammelt Fußbälle. In seinem Arbeitszimmer hat er eine ganze Reihe davon ausgestellt. Inzwischen dürften auch sie in Kisten verpackt die Heimreise nach Bonn angetreten haben. Dort wartet seine schwerkranke Frau. Sie ist der Grund für seinen Rücktritt.

Alle Kabinettsmitgleider haben den Ball unterschrieben. Die ganze Mannschaft sozusagen. Eine Mannschaft, über die Müntefering noch sagt, dass es gut wäre, in Zukunft nicht den Eindruck zu erwecken, es gäbe davon zwei Hälften. "Der Ball ist rund, das Tor ist eckig - und wie kommt das Runde in das Eckige? Das ist die Frage, die wir miteinander zu klären haben", sagt er. Solche Sätze werden in Berlin vermisst werden.

Danach ist alles anders. Der Gang zum Bundespräsidenten, das Abschiedsessen am Mittag mit seinen sozialdemokratischen Kabinettskollegen. Am Nachmittag Termine und Besprechnungen, die unter dem Titel Amtsübergabe laufen. Nichts Öffentliches. Auch morgen nicht, wenn er sich von seinen Mitarbeitern verabschiedet und dann endgültig sein Ministerium verlassen wird.

Als Müntefering den Großen Saal im Schloss Bellevue verlässt, fällt sein Blick noch auf das fliederfarbene Gemälde von Gotthard Graubner, das die gesamte Stirnseite des Saals einnimmt. Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat es hier aufhängen lassen. Gegenüber hängt in gleicher Größe das in gelb gehaltene Pendant. Der Titel des Ensembles: "Begegnungen". Ein passendes Bild. Im Großen Saal werden oft große Bankette gefeiert. An diesem Tag passt es auch gut. Es ist ein Tag der letzten Begegnungen.

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