Horst Köhler und der Fall Klar:Der Volkspräsident

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Bundespräsident Horst Köhler hat im Fall Christian Klar eine plebiszitäre Entscheidung getroffen. Er zeigte damit, dass er für Populismus empfängliches Staatsoberhaupt ist.

Hans Werner Kilz

Bundespräsident Horst Köhler hat für seine Entscheidung, dem Ex-Terroristen Christian Klar die Begnadigung zu verweigern, viel Lob erfahren. Von den Christenparteien und den Freien Demokraten (wo gibt es überhaupt noch Liberale?) war das zu erwarten.

Rote Armee Fraktion
:Die Opfer, die Täter, der Terror

Im Zuge der Studentenunruhen radikalisierten sich einige Linke zur Terrorgruppe. 1970 wurde die RAF gegründet - und mordete viele Jahre lang. Ein Überblick in Bildern.

Die beiden Wunsch-Koalitionäre, denen es zum gemeinsamen Regieren nicht gereicht hat, haben ihn zum Staatsoberhaupt gemacht, sie müssen ihn stützen. Hat Köhler nun als Christ entschieden oder als Hüter des Rechtsstaats? Weder noch. Köhler hat eigentlich gar nicht entschieden. Er hat nach vielerlei Einflüsterungen kompetenter und weniger kompetenter Ratgeber alles beim Alten belassen.

Hätte er wirklich etwas verändern wollen, hätte er handeln müssen - also begnadigen. Jetzt sieht es so aus, als sei er erst mutig vorgeprescht (was sein Vorgänger Johannes Rau nicht wagte) und habe dann die Flucht ergriffen, weil es ihm zu mulmig geworden war. Es bleibt sein Geheimnis, warum er das Thema auf diese Weise inszeniert hat, wenn er doch nicht in der Lage war, es zu bewältigen.

Zurück bleibt ein schales Gefühl, eine Art Katerstimmung: Jene, die dem Präsidenten wirklich helfen wollten, schweigen aus Verblüffung, auch aus Zorn. Die, die ihn monatelang beschossen, fühlen sich als Sieger. Sie haben die Schlacht, die längst geschlagen und gewonnen war, noch einmal geschlagen.

Die Besiegten sind zu besichtigen: Der Terrorist Christian Klar, der seit 24 Jahren sitzt und offenbar nicht bereut, muss mindestens weitere 20 Monate, die ihm der Präsident gnädig hätte schenken können, absitzen. Die Terroristin Birgit Hogefeld, die seit 14 Jahren einsitzt und seit langem massiv bereut, hat aus dem Rundfunk erfahren, dass sie weiterhin in Haft bleibt. Der Präsident behielt für sich, was ihn bewogen hat, die beiden Fälle miteinander zu verknüpfen. Es war unnötig und im Ergebnis fatal.

Was ist los in dieser Republik, wenn die Begnadigung eines Terroristen das Volk mehr in Wallung versetzt als die Entsendung deutscher Soldaten in Kriegsgebiete, die gescheiterte EU-Verfassung oder die rechtlich dubiose Neuwahl-Entscheidung des Präsidenten 2005 - Köhlers erster Verzicht, sich gegen den Trend zu stemmen? Wenn Köhler das publizistische Sperrfeuer, das zu erwarten war, unterschätzt hat, handelte er naiv, wie ein Unerfahrener.

Bereut wird im Beichtstuhl

Der Volkszorn wurde von intellektueller Seite geschürt, nicht aus echter Empörung, mehr aus eitlen, auch merkantilen Gründen. Boulevardblätter müssen dem Volk verkauft, Magazine, Bücher, Filme crossmedial vermarktet werden.

Die Angehörigen der Opfer, die ihr Leid seit langem still ertragen, wurden mobilisiert und instrumentalisiert. Es war stillos, den Terroristen Peter-Jürgen Boock, einen notorischen Lügner, in Talkshows wie einen seriösen Zeugen vorzuführen - eine Kumpanei der Kaufleute.

Der Präsident hätte den Terroristen Klar, einen kaltblütigen Killer in Zeiten des RAF-Terrors, nicht persönlich treffen sollen. Er hätte, was ihm Wohlmeinende empfahlen, diesen Besuch delegieren können, hätte einen hochrangigen Geistlichen schicken können und hätte dann - unbeeinflusst von der Schlagzeilenwut und lange vor dem 30.Jahrestag des Buback-Mordes - in aller Ruhe abwägen und entscheiden können. Was hat sich Köhler von seinem Besuch erhofft?

Die Reue eines Verblendeten, dessen Traumata und Phantasien nie etwas mit der politischen Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland zu tun hatten? Im katholischen Abendland wird im Beichtstuhl bereut, vor dem himmlischen Richter. Papst Johannes Paul II. durfte seinen Beinahe-Mörder Ali Agca in der Zelle besuchen, weil er ihm persönlich vergeben konnte. Der Rechtsstaat hat sich die Überprüfung der Seele nie zugetraut.

Die bisherige Geschichte des Umgangs mit RAF-Häftlingen war eine Geschichte, für die sich der Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland nicht schämen musste. Der Berliner Pfarrer Heinrich Albertz flog - unter Einsatz seines Lebens - mit freigepressten Terroristen nach Aden, weil er das Leben des CDU-Politikers Peter Lorenz retten wollte. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel begnadigte RAF-Terroristen, ohne es öffentlich zu machen und gegen die ausdrückliche Empfehlung von Richtern.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach zu einer Zeit Begnadigungen aus, als es noch Terroranschläge gab. Die humanen Gesten von Vogel, Weizsäcker und später auch Roman Herzog waren mutige Entscheidungen, die zur Deeskalation beitragen sollten, zur Überwindung der Sprachlosigkeit zwischen verfeindeten Lagern. Und keiner der lebenslänglich verurteilten RAF-Täter, die nach sehr langer Zeit und auf Probe entlassen wurden, ist rückfällig geworden.

Stoibers Logik und die Todesstrafe

Warum hat der Bundespräsident wohl das Gnadenrecht? Damit das Volk ihm zujubelt, wenn er einen Terroristen oder Mörder begnadigt? Das Volk jubelt lieber Hinrichtungen zu, die Bilder werden aus aller Welt täglich in die Zeitungsredaktionen geliefert. Das Gnadenrecht gibt es, um zu befrieden. Es unterscheidet sich gerade dadurch vom Strafrecht, dass es ohne Vorbedingungen gewährt wird. Gnadengesuche sind Unterwerfungen.

Bereuen kann so missverständlich sein wie gestehen. Wenn der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber behauptet, der Präsident habe so handeln müssen, weil die Mehrheit des Volkes gegen eine Begnadigung sei, dann irrt er. Der Bundespräsident wird nicht vom Volk gewählt, sondern von gewählten Repräsentanten, denen das Volk vorübergehend seine Souveränität geliehen hat.

Nach Stoiber' scher Logik ließe sich auch wieder die Todesstrafe einführen. Die Repräsentierten, das Volk, sind mehrheitlich für die Todesstrafe, die Repräsentanten aber denken nicht daran. Den gleichen scheinbaren Widerspruch erlebt die politische Auseinandersetzung, wenn es um Ausländer geht, um ihre Eingliederung, um Zuwanderung oder Bleiberecht. Die gewählten Volksvertreter erlauben sich eine humanere, liberalere Haltung als das Volk. In diesem Sinne ist die CSU also eine echte Volkspartei, sie spricht mit der vox populi.

Vox populi, vox Rindvieh

"Vox populi, vox Rindvieh" hat Stoibers Vorgänger Franz Josef Strauß einst gesagt. Er war ja auch ein Demokrat, ein grober vielleicht, aber ein intelligenter. Er wusste jedenfalls, wovon er sprach, auch wenn es dem Wahlbürger nicht besonders schmeichelte. Die Verfassungsväter haben im Grundgesetz festgelegt, dass nur wenige die politischen Entscheidungen treffen und nicht immer alle mitentscheiden. Dieses Auswahlprinzip der parlamentarischen Demokratie hat den Vorteil, dass die Wenigen besser kommunizieren und dann auch bessere Entscheidungen treffen können.

Köhler hat im Fall Klar eine plebiszitäre Entscheidung getroffen. Der Bundespräsident übt ein Amt aus, das ihm wenig politischen Einfluss zugesteht. Aber es ist kein unpolitisches Amt. Köhler hat wieder einmal gezeigt, dass er kein politischer, sondern ein für Populismus empfänglicher Präsident ist.

© SZ vom 11. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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