Homosexuelle in Polen:Das Recht aufs Händchenhalten

Lesezeit: 7 min

An diesem Wochenende findet in Warschau die "Parade der Gleichheit" statt: Wie Schwule und Lesben in Polen leben, während der Präsident hetzt.

Eine Reportage von Jens Bisky

In der "Voliera" kann man an Berlin irre werden. Das gerühmte Nachtleben, die hauptstädtische Schwulenszene, das Getue und Klagen, die müden Eitelkeiten und die aufwändige Suche nach dem Ich, das Dazugehören- und dennoch Besonders-sein-Wollen - all das erscheint plötzlich wie ein leer laufender, in Routine erstarrter Betrieb, der nicht so recht weiß, was sein Witz ist.

"Parade der Gleichheit": An diesem Wochenende gehen Schwulen und Lesben in Warschau auf die Straße. (Foto: Foto: AFP)

Die Diskothek "Voliera" liegt in Poznan, zweieinhalb gemütliche Zugstunden von Berlin entfernt. Jarek hat mich hierher geführt, ein Kerl von Ende vierzig, mit frechen, immer Blickkontakt suchenden Augen. Er ist hier geboren und nie länger fort gewesen. Seit Stunden sind wir um den Alten Markt herumgeschlichen, durch Bars und Klubs gezogen, vorbei an küssenden, kuschelnden, fummelnden Paaren.

So wie in Poznan würde es in Leipzig heute wohl aussehen, hätte es nicht die Milliarden für den Aufbau Ost gegeben: mit einem strahlend restaurierten Zentrum und verfallenden, schäbigen Altbaufassaden in vielen Seitenstraßen, mit verhärmten Gesichtern unter den Älteren - es ist nicht leicht, sich im neuen Polen zu behaupten - und dennoch mit ungebremster Lebenslust.

Es ist als bekäme man ein Aufputschmittel, eine Energiespritze, wenn man an einem warmen Abend durch Poznan streift.

"Cheri, cheri lady"

Kurz vor Mitternacht gehts raus aus dem Zentrum, vorbei am Schlachthof, in dem nicht mehr geschlachtet wird, hin zu einer Reihe flacher Laden- und Lagerbaracken. Noch muss man nicht anstehen, um hineinzukommen in den riesigen Raum. Zuerst sehe ich, als wäre die Welt ein Comic, "Dick" und "Dünn" auf dem gewölbten Tresen tanzen.

Der Lange mit den schwarzen Locken und der athletischen Figur wirft der Menge blasierte Blick zu, der kleine Kurzhaarige neben ihm bewegt sich, als gäbe es nichts außer ihm. Es läuft "Cheri, cheri lady" von Modern Talking. "Das ist von euch", ruft Jarek. Es kann einem sauer werden, als Botschafter deutscher Kultur herumzufahren.

"Ich mag Sex wie ein Pferd Hafer"

Ausgefallen oder chic ist nichts an der Ausstattung: Barhocker, Matten, Sofas, Kissen, ein Podest zum Tanzen in der Mitte und kleinere Podeste an den Seiten. Gegenüber des Tresens, an der anderen Seite des Saals, hinter einer Bretterwand, liegt wie das Allerheiligste, der Darkroom: dunkel, kalt und leer. "Da tut sich nie was", sagt Jarek und schaut dabei so undurchdringlich, dass man nicht wissen kann, ob er das begrüßt oder bedauert.

Dann lacht er unvermittelt auf: "Lubie sex jak kon owies". Ich habe den Satz schon oft gehört. "Ich mag Sex wie ein Pferd Hafer" - eine Abgeordnete der rechten Bauernpartei "Samoobrona", die inzwischen mitregiert, ist damit als Dummerchen populär geworden.

Katholizismus hin oder her, Polen ist nicht prüde. Am Bahnhofskiosk liegen, gut sichtbar für Kinderaugen, Pornohefte zum Verkauf. Die Scheidungsrate und die Abtreibungszahlen haben längst westeuropäisches Niveau erreicht. In größeren Städten gibt es Sexshops, auch für Schwule, Saunen, Bars und Clubs.

Ob ich, fragt Jarek, Madame Kaczynski mal gesehen hätte, die Frau des Präsidenten. Wie die rumlaufe, da schäme man sich doch, schließlich seien Eleganz und Schönheit der Polinnen doch selbst in sozialistischen Zeiten Legende gewesen.

Das Ehepaar Kaczynski sei einfach peinigend. Es passe nicht zu Polen. Sündenböcke können ganz schön arrogant sein. Immerhin hat Kaczynski manchen meiner Berliner Bekannten das Weltbild gerettet: tumb, konservativ und nationalistisch, so haben sie sich unsere Nachbarn doch schon immer vorgestellt.

Wenn sie wüssten, dass der Präsident manchmal mit der polnischen Grammatik kämpft, würden sie sich noch mehr bestätigt fühlen, die Ahnungslosen.

Homophober Größenwahn

Auf jeden Fall bezahlt der Präsident seinen homophoben Größenwahn mit bösartiger Nachrede. Sein Zwillingsbruder, Jaroslaw, auch er Politiker der "PiS" (Recht und Gerechtigkeit) lebe allein mit Mutter und Katze. Jarek blinzelt, ob ich verstanden habe: Jaroslaw Kaczynski sei "einer von uns".

Das ist mir egal, aber die Genugtuung kann ich gut verstehen, die polnische Schwule aus dem Gerücht beziehen. Im März 2006 hat Kaczynski seine Diskriminierung der Schwulen an der Humboldt-Universität verteidigt. Seine Logik hat etwas Sozialistisches: Wenn Schwule sich verstecken, unsichtbar bleiben, dann gibt es sie auch nicht. Wenn sie sich zeigen, muss man sie mit aller Macht zwingen, sich wieder zu verstecken.

Jarek kann sich gut an die Jahre erinnern, als es in der Stadt mit 580 000 Einwohnern nur heimliche Treffpunkte gab. Vor kurzem hat er sich unter seinen Arbeitskollegen geoutet und ist überraschenderweise auf Verständnis gestoßen. Man kennt ihn schon so lange. Und nun will Kaczynski, ein Mann der alten "Solidarnosc", wieder Verhältnisse wie unter Jaruzelski herstellen.

Der Lange steigt vom Tresen, es ist Serge, den es aus Moldawien nach Poznan verschlagen hat. Er langweilt sich, immer dieselben Gesichter, Provinz. Das mag stimmen. Alles Grelle, Übertriebene fehlt, auch der Körperkult, dem in Berlin oder München so viel geopfert wird, hat sich noch nicht richtig durchsetzen können. Dafür scheint es dem Berliner hier nicht so bemüht und verkrampft.

"Dann ist ganz Poznan schwul"

Hier ist nicht jeden Tag alles zu haben und schon deshalb hat man gute Laune, wenn man ausgeht. Man amüsiert sich, während es in Berlin oft so aussieht, als müsse die Zeit verbissen totgeschlagen werden. Aber ist es nicht herablassend, Serge zu erklären, wie lebendig es in der "Voliera" zugeht, wie gut es der Stimmung bekommt, dass viele Heteropärchen und beste Freundinnen gekommen sind. "Wenn das ein schwuler Club ist", hatte Jarek stolz gesagt, "dann ist ganz Poznan schwul!"

Am Nachmittag hatte er mir den Platz der Novemberdemonstration gezeigt, gleich in der Nähe der alten Brauerei aus dem neunzehnten Jahrhundert, die zu einem Einkaufs- und Kulturzentrum umgebaut wurde.

Zum "Internationalen Tag der Toleranz", im November 2005 haben sich dort etwa 500 Demonstranten versammelt, um gegen die Diskriminierung von Minderheiten, von Behinderten, Farbigen, Schwulen und Lesben zu protestieren. Die Rechte erhob Einspruch, der Marsch wurde verboten, man traf sich dennoch, wurde von Skinheads attackiert und von der Polizei eingekesselt, die etwa 100 Personen brutal verhaftete.

Die polnische Rechte: "bornierte Bauern"

Polen hat eine Liberalisierung in unvorstellbarer Geschwindigkeit hinter sich, und keiner wird deren Fortgang aufhalten können. Gegen die Macht des Geldes, die zersetzende Kraft der Marktwirtschaft, den Relativismus der Unterhaltungsindustrie kommen die Traditionalisten nicht an.

Die Homophobie ist eine ihrer letzten Hoffnungen, ein letztes Aufbäumen. Man ist durchaus stolz, schwulenfeindlich zu sein. Das ist was Besonderes, ein Thema, bei dem man sich von der EU nicht reinreden lassen will. Darauf setzen Kaczynskis "PiS" und die "Liga der polnischen Familien", nebst ihrer antisemitischen Krawalltruppe, der "Allpolnischen Jugend".

Als ich Jan danach frage, der mit 26 gerade sein Jurastudium abgeschlossen hat, verdreht er die Augen: "Bornierte Bauern, Leute aus dem Osten. Die kennen nur eins: rasch heiraten, Kinder zeugen, und dann haben sie die Wahl zwischen Auto putzen oder Frau verprügeln". Die polnische Rechte gilt ihm als Zusammenrottung der Verlierer, der Daheimgebliebenen. Er hat auch in Berlin studiert, sein Freund wohnt dort.

Demnächst will er nach Brüssel oder Paris. Aber man muss als Pole kein Akademiker sein, um einen europäischen Lebenslauf vorweisen zu können. Rafal, der in "Voliera" seine wilden Jahre verbrachte, ist mit Mitte zwanzig mit nichts als einem Rucksack nach England gegangen, hat dort gekellnert und sich dann in Berlin niedergelassen.

Dort schuftet er heute für wenig mehr als den Mindestlohn, allerdings ohne Krankenversicherung. "Jetzt bin ich im Exil", erklärte er knapp, nachdem Kaczynski die Präsidentenwahl endgültig gewonnen hatte. Mir klang das damals zu theatralisch. Ich hielt es schlicht für übertrieben.

An Drogen, Aids und Mafia sind die Schwulen schuld

Die letzten Monate haben Rafal Recht gegeben. An die Direktoren der Bildungsanstalten wurden Broschüren über das Problem der Homosexualität verteilt, in denen zu lesen steht, dass Schwule Oralsex praktizieren, um sich Blut einzuverleiben. Dutzende Male ist Homosexualität mit Nekrophilie und Pädophilie gleichgesetzt worden.

Für Drogen, AIDS und Mafia werden die Schwulen verantwortlich gemacht. Den Warschauer Club "Le Madame" hat man geschlossen, weil Schwule dort mit Künstlern und Linken feierten. Einem schwulenfreundlichen Bürgerrechteler wurde in Warschau mal ein Messer in den Leib gerammt.

Während der Tage der Toleranz in Krakau schmissen die Jungs von der "Allpolnischen Jugend" Steine auf demonstrierende Mädchen, der Sejm-Abgeordnete Wojciech Werzejski von der Regierungspartei "Liga polnischer Familien" rief dazu auf, die Demonstranten des Warschauer "Christopher Street Day" mit Knüppeln zu empfangen und ordentlich durchzuprügeln. Da Feigheit zur Homophobie gehört, hat er seine Worte halb zurückgenommen. Aber die Botschaft ist angekommen.

Diesen Samstag nun werden sich in Warschau zwei Demonstrationszüge in Bewegung setzen, beide genehmigt, beide auf derselben Strecke, aber in aufeinander zu marschierend. Irgendwann werden sie einander auf dem Rondo de Gaulle gegenüberstehen: die Teilnehmer der "Parada Rownosci", der Parade der Gleichheit, und die Teilnehmer des "Marsches der Tradition und Kultur", zu dem die "Allpolnische Jugend" gerufen hat.

Das erinnert an "Casablanca", wo die einen die "Wacht am Rhein" intonieren, und die anderen die "Marseillaise" anstimmen. Aber es ist nicht gewiss, ob es in Warschau beim Gesangswettstreit bleibt. Wer heute in Polen Schwule attackiert, weiß, dass die Regierung hinter ihm steht, sieht sich als Vollstrecker des Mehrheitswillens, als Held des polnischen Nationalstolzes.

Kämen nicht Hunderte aus Berlin, Hamburg, London und den USA nach Warschau, würde sich wohl keiner darum scheren. Die europäische Öffentlichkeit hat man sich immer als Podiumsdiskussion ergrauter Philosophen vorgestellt und beklagt, dass es sie nicht gäbe. Jetzt entsteht sie, weil an der Wisla ein paar Schwule demonstrieren und feiern wollen.

In der "Voliera" interessiert das wenig. Man ist jung und entschlossen, die Nacht zu nutzen. Die Generation der 35- bis 45-Jährigen fehlt dabei nahezu vollständig. Sie hat Polen verlassen oder sich dem Zwang zum Doppelleben gebeugt. Bevor ich in die Nacht hinausgehe, werde ich wieder einmal mit Ratschlägen versorgt. Ich kenne sie alle und habe die Umsicht doch vor Jahren schon verlernt: Keinem hinterher schauen, nicht küssen, nicht umarmen, erotisch desinteressiert und machohaft auftreten.

Es gibt ein normales schwules Leben in Polen, aber die Angst ist immer dabei, die Sorge, aufzufallen und zusammengeschlagen zu werden. Eines Tages, sagt Jan zum Abschied, will er mit seinem Freund händchenhaltend durch Poznan gehen, ohne sich umschauen zu müssen. Noch lieber würde er nach Berlin ziehen.

© SZ vom 10.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: