Hohenschönhausen:In der Zelle mit der Kanzlerin

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Zurück aus dem Urlaub besucht Angela Merkel das ehemalige Stasi-Gefängnis in Berlin. Sie begegnet dabei auch ehemaligen Gefangenen.

Von Pia Ratzesberger, Berlin

Arno Drefke steigt jetzt hoch auf das Podest, eigentlich ist das für die Kameramänner gedacht, aber auch er will die Bundeskanzlerin sehen. "Sie kommt zu spät, das geht alles von meiner Zeit weg nachher." Er stützt sich auf seinen Regenschirm, blickt hinüber zu dem großen Eingangstor, er hadert noch, wie das wohl sein wird mit der Kanzlerin. Arno Drefke, 83, steht auf dem Eingangshof des Stasi-Gefängnisses, in dem er früher eingesperrt war. Und in dem er nun die Erinnerung bewahrt. In der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

Dort ist Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Gast, weil Sanierungen anstehen. In den sogenannten Freigangzellen und dem Haftkrankenhaus zum Beispiel werden von Mai 2018 an Tapeten restauriert, Bodenbeläge und Türen. Bund und Land geben 8,75 Millionen Euro aus, und die Kanzlerin will sehen, was mit dem Geld gemacht wird. Sie war vor acht Jahren schon hier, im Wahlkampf gibt das gute Bilder - aber wenn Merkel, aufgewachsen in der DDR, diesen Ort besucht, geht es ihr nicht nur darum. Arno Drefke wird später sagen: "Sie hat mich überrascht."

Die Kanzlerin beginnt ihren Rundgang in den ehemaligen Hafträumen, außer einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern der Gedenkstätte darf da niemand mit. Vor dem Gedenkstein aber wartet dann Drefke, er erzählt der Kanzlerin, dass er an einem Tag immer gleich drei Führungen hintereinander anbietet, um mit Schülern über seine Haft zu sprechen. Fast zehn Jahre war er eingesperrt, erst in Hohenschönhausen, dann in Cottbus und Brandenburg. In Gefangenschaft musste er Zeichnungen anfertigen, Absperrungen konstruieren, ohne zu wissen wofür - erst Jahre später verstand der Drefke, dass die Absperrungen dem Bau der Berliner Mauer dienten. Als die Kanzlerin vor den Kranz am Gedenkstein tritt, für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft, winkt sie Drefke herüber, damit hatte er nicht gerechnet. Vor dem Kranz sagt er zu ihr: Er müsse an damals in Cottbus denken, in der Zelle neben ihm war ein Todeskandidat. Er wurde geköpft. Angela Merkel sagt nichts, Arno Drefke sagt nichts, still stehen sie nebeneinander, im Innenhof des früheren Gefängnisses. Dann muss Merkel schon weiter, gibt ihm die Hand, über das Kilometergeld müsse man noch einmal reden - Drefke fährt für seine Führungen immer von Wittstock nach Berlin, auf eigene Kosten. Dieser Kommentar aber hat ihn weniger beeindruckt als dass die Kanzlerin "an den Details seiner Arbeit" interessiert gewesen sei, sie habe sofort gewusst, dass man "Eisenbahnschienen schwer schweißen könne". Am Ende, nach einer Stunde, wird Merkel sich vor das Eingangstor stellen, vor die Kameras und sagen: Sie sei froh, dass in der Gedenkstätte Arbeit gegen Linksradikalismus geleistet werde, "das sind Erscheinungsformen von heute, die wir nicht negieren können, sondern um deren Bekämpfung wir uns kümmern müssen". Drefke wird ihr zuhören, ein wenig abseits. Er kümmert sich.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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