Hintergrund:Das Grundgesetz und die Auflösung des Bundestages

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Der Weg zu Neuwahlen führt über eine verlorene Vertrauensfrage des Bundeskanzlers.

Von Kurt Kister

"Rasend schnell muss es erst mal damit gehen, dass der Bundespräsident damit einverstanden ist, dass es Neuwahlen gibt", sagte Angela Merkel am Sonntagabend kurz vor sieben Uhr.

Sie antwortete auf die Frage, ob die Union sie denn jetzt nicht "rasend schnell" zur Kanzlerkandidatin ausrufen müsste. Und Merkel hat Recht, denn die Voraussetzung für vorgezogene Neuwahlen ist die Auflösung des Bundestages - und die kann nur der Bundespräsident vornehmen.

Das Grundgesetz sieht lediglich zwei Möglichkeiten vor, eine Legislaturperiode vorzeitig zu beenden. Der erste Fall, festgehalten im Artikel 63, bezieht sich auf die Wahl des Kanzlers: Wenn ein Kanzlerkandidat auch im dritten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit der Stimmen im Parlament erhält, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen.

Der zweite Fall wird in den nächsten Wochen wohl relevant werden. Der Artikel 68 des Grundgesetzes regelt das Vorgehen, wenn der Kanzler die Vertrauensfrage stellt und dabei nicht die absolute Mehrheit der Stimmen erhält.

Der Bundeskanzler kann dann dem Bundespräsidenten die Auflösung des Parlaments vorschlagen, was bei einer Zustimmung des Präsidenten Neuwahlen zur Folge hat. Mit dem konstruktiven Misstrauensvotum hat das alles übrigens nichts zu tun.

Bei einem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum wird zwar ein neuer Kanzler gewählt, der Bundestag aber wird nicht aufgelöst. Voraussetzung für ein solches konstruktives Misstrauensvotum ist eine Veränderung der inneren Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, also der Wechsel einer Partei zu einem anderen Koalitionspartner.

Nach allem, was zu hören war, haben sich Rote und Grüne in Berlin am Sonntagnachmittag dazu verabredet, den Weg nach Artikel 68 zu gehen. Schröder wird also demnächst die Vertrauensfrage stellen und dabei durch verabredete Enthaltungen aus seiner eigenen Partei oder von den Grünen die Abstimmung verlieren.

Tatsächlich könnte es aber auch sein, dass so viele Abgeordnete aus der nur mit knapper Mehrheit regierenden Koalition die Nase voll haben, dass Schröder sozusagen eine "ehrliche" Niederlage erleiden wird.

Danach wird alles auf den Bundespräsidenten blicken. Horst Köhler muss den Bundestag keineswegs auf Antrag Schröders auflösen. In der Nachkriegsgeschichte gibt es einen Präzedenzfall.

Am 17. Dezember 1982, Wochen nach dem durch den Austritt der FDP aus der rot-gelben Regierung Schmidt herbeigeführten Machtwechsel, stellte Helmut Kohl die Vertrauensfrage - mit dem Ziel, sie zu verlieren. Dies trat ein, und Kohl forderte den damaligen Bundespräsidenten Karl Carstens (CDU) auf, das Parlament aufzulösen.

Carstens zierte sich zum Ärger Kohls lange, weil er das abgekartete Spiel nicht absegnen wollte. Das Bundesverfassungsgericht befand später die Zustimmung Carstens' für rechtmäßig, betonte aber die Einmaligkeit des Vorgangs.

In einer ähnlichen Situation befindet sich nun Horst Köhler. Die Wahrscheinlichkeit allerdings, dass er den Bundestag nicht auflösen wird, ist gering.

Angesichts des Machtverfalls der SPD in den Ländern und des Klimas in der Koalition wird Köhler mit Fug und Recht annehmen, dass dieser Bundestag dem Kanzler das Vertrauen nicht mehr entgegenbringt.

© SZ vom 23.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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