Hessen: Ypsilanti scheitert:Kehraus im Tollhaus

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Die SPD in Hessen hat sich aus jeder leidlich seriösen Politik hinausgekehrt. Der Abweichler Jürgen Walter ist ein kleiner Nero der SPD und nicht nur die SPD in Hessen verbrennt. Roland Koch steigt aus der schwarzen Asche. Er regiert fortan nicht aus eigener Kraft, sondern aus roter Dummheit.

Heribert Prantl

Intrigen sind Bestandteil jeder Politik. Auch Vertrauensbruch und Verrat haben seit jeher dazugehört. Das Haus der Politik ist nun einmal eines, in dem Unbelehrbarkeit, Sturheit, Egomanie, Illoyalität und Narzissmus ein Dauerwohnrecht haben. Gleichwohl: Was in Hessen passiert, hat mit den gewohnten Rankünen nichts mehr zu tun. Hessen ist ein Tollhaus; und am Montag war Kehraus im Tollhaus. Die SPD in Hessen hat sich aus jeder leidlich seriösen Politik hinausgekehrt.

Ein kleiner Nero der SPD: Jürgen Walter. (Foto: Foto: Reuters)

Bisher gab es in Hessen zwei sozialdemokratische Parteien: eine linke Ypsilanti-Partei und eine rechte Walter-Partei. Auf geraume Zeit wird es in Hessen gar keine SPD von Gewicht mehr geben; an ihr klebt fortan der Ruf der unfähigen Va-banque-Partei.

Der oberste Tollhäusler ist Jürgen Walter

Jetzt bleibt die CDU an der Regierung, Roland Koch steigt aus der schwarzen Asche. Er regiert fortan nicht aus eigener Kraft, sondern aus roter Dummheit. Mit gewaltigen Wahlverlusten stand und steht er eigentlich nicht besser da als Günther Beckstein und Erwin Huber in Bayern. Aber er ist der lachende Dritte neben Andrea Ypsilanti und Jürgen Walter. Auch die bundespolitischen Auswirkungen des SPD-Desasters werden gewaltig sein.

Tollhaus Hessen: Der oberste Tollhäusler dort ist nicht Andrea Ypsilanti, sondern ihr Konkurrent Jürgen Walter. Die grobe Illoyalität des stellvertretenden SPD-Vorsitzenden in Hessen hat die Vorsitzende politisch erwürgt. Walter ist der Spiritus Rector der vier SPD-Abweichler.

Wäre er ein Dissident aus Gewissensgründen, man müsste ihn respektieren. Respekt aber ist das Letzte, was dieser Mann verdient; vielleicht verdient er Mitleid. Er hat nicht verkraftet, dass nicht er, sondern Ypsilanti an die Spitze der Partei und fast an die Spitze der Landesregierung gekommen ist. Er hat nicht verkraftet, dass eine Frau (die er für weniger beredt, für weniger eloquent und für weniger gescheit hält als sich selbst) ihn überrundet hatte.

Die Gewissensgründe, auf die sich Walter beruft, gelten für ihn nicht. Die Regelung des Flughafenausbaus im Koalitionsvertrag ist keine Gewissensfrage. Daran aber hatte er sein "Nein" festgemacht (obwohl er diese Regelungen vorher mitverhandelt hatte).

Narzisstische Kränkung und Destruktivität

Walters Verhalten und Handeln hat mit Gewissen nichts, aber sehr viel mit narzisstischer Kränkung und Destruktivität zu tun. Narzisstische Wut kann nicht nur das Seelenleben eines Einzelnen vergiften, sondern auch in Gruppen und Großgruppen ihre Wirkung entfalten - so schreibt der Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth in seinem Standardwerk zur Psychoanalyse seelischer Störungen in der Politik. Am Beispiel der hessischen SPD kann man solche Störungen nun exemplarisch besichtigen.

Auf der nächsten Seite: Wie Roland Koch vom Wahlverlierer zum Zufallsministerpräsident wurde.

Sicherlich lässt sich das Waterloo der hessischen SPD nicht nur an der Persönlichkeitsstörung eines Politikers festmachen. Der Widerstand in der Landes-SPD gegen ein Kooperieren mit der Linkspartei war offensichtlich viel größer, als dies Ypsilanti wahrhaben wollte. Diesen Widerstand hat sie auch selbst gesät durch ihr falsches Wahlkampfversprechen, mit der Linkspartei nicht zusammenzuarbeiten.

Sie hat vergeblich versucht, es wieder gutzumachen: Nach ihrem verstolperten ersten Anlauf zum Machtwechsel hat sie den zweiten Anlauf mit Beharrlichkeit und Akribie vorbereitet. Sie hat Regionalkonferenzen abgehalten, Abstimmung um Abstimmung in ihrer Partei veranstaltet. Sie hat versucht, Skeptiker in ihrer Partei zu gewinnen, und die Skeptiker haben sie im Glauben gelassen, das sei ihr gelungen.

Muss man Ypsilanti Machtbesessenheit vorwerfen? Hätte sie den Machtwechsel nicht versucht, wäre ihr Machtvergessenheit vorgeworfen worden. Man kann ihr Blauäugigkeit vorhalten. Aber sie musste nicht damit rechnen, dass drei Abgeordnete ihr Gewissen erst in letzter Minute entdecken - und dann die Folgen dieser Entdeckung für die gesamte SPD in rührender Naivität bedauern.

Nicht nur die SPD in Hessen verbrennt

Dagmar Metzger hatte ihr "Nein" vor Monaten kundgetan. Die Abgeordneten Carmen Everts und Silke Tesch taten es jetzt, sehr spät, erst nachdem sie die eigene Partei und die grüne Partei durch Schweigen und Mittun in eine Sackgasse gelockt hatten.

Es war geschickt, dass die drei Spät-Dissidenten bekannt haben, früher nicht den Mut zum "Nein" gehabt zu haben. Sie haben damit Sympathien für sich geerntet, aber ihrer (bisherigen?) Partei einen Tort angetan und Ypsilanti politisch exekutiert. Selten ist ein Politiker für ein gebrochenes Wahlversprechen so tückisch bestraft worden. Der Linkspartei wird das Hessen-Desaster nicht schaden, der SPD gewaltig.

Jürgen Walter ist ein kleiner Nero der SPD. Ein knapper Wahlausgang gab ihm Zündhölzer in die Hand. Er hat seine Partei angezündet und der CDU neue Lichter aufgesteckt. Das Wahlunglück Roland Kochs hat sich so in Glück verwandelt. Aus einem Wahlverlierer ist ein Zufallsministerpräsident geworden. Und wenn es Neuwahlen in Hessen geben sollte, werden diese die hessische CDU neu vergolden.

Der SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier kriegt dann, drei Monate vor der Bundestagswahl, ein großes Problem. Das Scheitern von Ypsilanti ist daher auch ein Schlag für die Ambitionen von Steinmeier und Franz Müntefering. Es verbrennt nicht nur die SPD in Hessen. Sie kokelt auch im Bund.

© SZ vom 04.11.2008/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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