Haushalt:Wie eine europäische Asylpolitik zu finanzieren ist

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Die Flüchtlingspolitik wird Deutschland und Europa einiges an Geld kosten. Doch die Politik hierzulande träumt weiter von der schwarzen Null, auch die EU weigert sich, die Realität anzuerkennen.

Von Cerstin Gammelin

Deutsche Gründlichkeit sei super, aber jetzt sei deutsche Flexibilität gefragt. Vorausschauend hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bürger vor Wochen darauf eingestimmt, dass der Zustrom an Asylbewerbern hierzulande Ansprüche, Gewissheiten und Regeln wegspülen würde. So ist es gekommen, an Grenzen, in Behörden, im Umgang miteinander und mit den Flüchtlingen. Nur an einer Stelle hält sich hartnäckig der Eindruck, als gebe es keine dramatische Flüchtlingskrise, als müssten penibel Versprechen aus früherer Zeit erfüllt statt neu gedacht werden: Wenn es ums Geld geht.

Die Bundesregierung pocht auf die Koalitionsvereinbarung, in der sie Steuererhöhungen ausgeschlossen hat. Sie hält auch die sogenannte schwarze Null weiter hoch, und erweckt damit den Eindruck, als könne sie die Kosten der neuen Asylpolitik, die sie mühsam versucht zu organisieren, schon zuverlässig abschätzen. Die europäische Politik ist ebenfalls von dieser bemerkenswerten Doppelstrategie durchzogen. Man gibt sich überzeugt, dass die in ihrem Ausmaß nicht vorhergesehene Flüchtlingsbewegung nur europäisch bewältigt werden kann. Was richtig ist, aber nichts anderes heißt, als dass die Europäer ihre Asylpolitik grundsätzlich neu denken müssen. Umso bizarrer erscheint, dass sie sich weigern, selbst eingeforderte europäische Lösungen europäisch zu finanzieren.

Ohne neue Abgaben oder Schulden wird es kaum gehen

Auch die Bundesregierung dringt darauf, Außengrenzen zu sichern, Auffanglager einzurichten, Rückführungsabkommen abzuschließen und die Lebensbedingungen in Transitländern so zu verbessern. Weil aber diese europäischen Aufgaben bisher weder ein klares noch konsensfähiges Konzept ergeben, wird bei der Frage der Finanzierung abgewartet. In diesem Abwarten weist die Flüchtlingskrise erstaunliche Parallelen zur frühen Euro-Krise auf. Ähnlich wie jetzt waren die europäischen Staaten Anfang 2010 überfordert, die Dimension und die Folgen der griechischen Staatsverschuldung auf die Währungsunion einzuschätzen. Wie heute pochten sie auch damals zunächst darauf, dass jedes Land allein für seine Finanzen zuständig sei. Es bedurfte erst des Beinahe-Zusammenbruchs der Währungsunion, bis die Regierungen alte Regeln neu definierten. Heute gibt es einen finanziellen Schutzwall, eine zentrale Bankenaufsicht und eine Art Grundgesetz zur Bankenabwicklung. Die Struktur, die sich die Euro-Zone gab, war 2010 nicht absehbar.

Diese Erfahrung, verbunden mit der Aussage der Bundeskanzlerin, sich flexibel zu zeigen, zeichnet den Weg vor, der zu beschreiten ist, um eine europäische Asylpolitik solide zu finanzieren. Jeder EU-Staat muss seine anerkannten Asylbewerber integrieren - und dies national bezahlen. Für Deutschland, das diese Integration bisher aus den Haushaltsüberschüssen finanziert, gilt künftig wie für die Nachbarländer, über weitere Finanzquellen nachzudenken. Das heißt auch: über Abgaben oder Schulden.

Weitaus flexibler muss sich jedoch die EU zeigen. Denn wer nach Europa ruft, muss auch die praktischen Konsequenzen tragen. In dieser Diskussion darf es, das lehrt die Euro-Krise, keine Denkverbote geben. Es ist nur logisch, die Aufgaben von Aufnahmelagern über Grenzsicherung bis hin zur Verteilung und Rückführung über ein EU-Einwanderungsamt zu lösen, das aus dem EU-Haushalt finanziert wird. Der gemeinsame Geldtopf muss also entlang diesen Anforderungen neu geplant werden. Auch mit der Konsequenz, ihn deutlich zu erhöhen. Mit nationalen Abgaben - oder einer europäischen Abgabe. Freilich, es ist noch theoretisch möglich, dass der Flüchtlingszustrom gebremst wird und alte Versprechen gerettet werden. Wer darauf hofft, hat jedoch die Dimension der Krise nicht verstanden.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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