Hauptstadt in Not:Das Grauen vor dem Griff ins Leere

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Berlin hat Angst, bei den Bedürftigen und den Studenten zu sparen, obwohl die Ausgaben dort besonders hoch sind. Nur Finanzsenator Sarrazin schert aus.

Philip Grassmann

Nein, mit diesem Ausgang in Karlsruhe hatte wohl niemand in der rot-roten Koalition ernsthaft gerechnet. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hatte im Vorfeld ein Szenario für den günstigsten Fall erarbeitet.

Finanzsenator Thilo Sarrazin muss sein Streichkonzert jetzt verstärken. (Foto: Foto: AP)

Demnach hätte der Bund dem Land rund 30 Milliarden Euro an Schulden abgenommen. Aber selbst dann hätte die Hauptstadt in den nächsten Jahren immer noch mindestens eine Milliarde Euro einsparen müssen.

Was im Fall einer Niederlage geschehen würde, darüber machte er höchstens Andeutungen. Doch nun ist es genau so gekommen.

Der Vizepräsident des Verfassungsgerichts, Winfried Hassemer, ließ es sich nicht nehmen, zur Erläuterung der Entscheidung gar eines der Lieblingszitate des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit zu verwenden. "Berlin ist arm, aber sexy" hat das Stadtoberhaupt in der Vergangenheit immer wieder gerne verkündet.

Gericht sieht Einsparpotenziale

"Wenn Sie genau zuhören oder lesen, was wir an Gründen haben, so könnte man auf die Idee kommen, dass Berlin vielleicht deshalb so sexy ist, weil es so arm gar nicht ist." Das saß.

Und das Gericht teilte den erschrockenen Berlinern auch gleich mit, wo es noch Einsparpotenziale sehe: Im Vergleich zu einer Großstadt wie Hamburg gebe Berlin vor allem für Hochschulen, Wissenschaft und Kultur deutlich mehr Geld aus.

Außerdem könne die Stadt die Einnahmen verbessern, indem sie die Gewerbesteuer erhöhe und die landeseigenen Wohnungen für etwa fünf Milliarden Euro verkaufe.

In der Tat besitzt das Land Berlin rund 270.000 Wohnungen. Doch sowohl SPD als auch die Linkspartei sind, wie übrigens auch die Berliner CDU, strikt gegen einen Verkauf.

In beiden Koalitionsparteien rechnet man gerne vor, dass man mit dem Erlös nur die Zinsen von zwei Jahren bezahlen könnte. Dafür verliere man aber jeden Einfluss auf die Mietpreisgestaltung in der Stadt. "Ich bin gegen eine Kürzungsorgie zu Lasten langfristiger Gestaltungsspielräume", sagte Linksparteichef Klaus Lederer.

Auch die SPD hat sich bereits positioniert. Deren Vorsitzender Michael Müller sagte, Prioritäten blieben weiterhin die soziale Stadt, Bildung, Kultur und Wissenschaft.

Koalition gegen Kürzung bei Sozialausgaben

Im Klartext: Von der Kürzung bei Sozialausgaben wie etwa die äußerst großzügige Wohngeldregelung für Hartz-IV-Empfänger möchte die SPD ebenso wenig etwas wissen, wie etwa von der Schließung eines der drei Opernhäuser.

Sowohl SPD und PDS ärgert es außerdem, dass der Stadt ihre rund 120.000 Studenten angelastet werden, die Berlin an seinen drei Universitäten ausbildet. Schließlich, so heißt es in beiden Parteien, käme der Großteil der Studierenden nicht aus Berlin.

Sarrazin will schärferen Sparkurs

Die Stadt bilde also auf eigene Kosten Menschen für die ganze Republik aus. Es gilt in Senatskreisen außerdem als ziemlich sicher, dass Wowereit an seinen Plänen für eine kostenlose Kita-Betreuung festhalten wird.

Nur einer wollte am Tag der Entscheidung von einem Weiter-So nichts wissen und sprach sich für einen schärferen Sparkurs aus: Finanzsenator Thilo Sarrazin. "Ich werde bei den Koalitionsverhandlungen am Montag Zahlen vorlegen, wonach wir im Haushalt bis 2011 jährlich 1,5 Milliarden Euro Primärüberschuss erzielen. Nur dadurch können wir schrittweise unsere Schulden abbauen."

Gleichzeitig zeigte er sich optimistisch, dass man sich mit der Linkspartei einigen könne. Streit in der Finanzpolitik habe er in der Vergangenheit eher mit seiner eigenen Partei ausgefochten.

© SZ vom 20.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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