Gutachten von Erziehungswissenschaftlern:Experten fordern radikale Bildungsreform

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Die Vorschläge der Bildungsforscher sind revolutionär: Kita-Pflicht für Vierjährige und befristete Stellen für Lehrer. Nach SZ-Informationen soll für die Uni kein Abitur mehr nötig sein.

Tanjev Schultz

Führende deutsche Bildungsforscher verlangen einen revolutionären Umbau des Bildungssystems. Schulen sollten zwar staatlich finanziert, aber von privaten Trägern geleitet werden. Lehrer müssten regelmäßig ihre "Lizenz" durch die Teilnahme an Fortbildungen erneuern.

In einem Gutachten empfiehlt der "Aktionsrat Bildung", dem sieben namhafte Professoren angehören, eine deutlich größere Autonomie der Schulen. Sie sollen selbst verantwortlich sein für Auswahl und Einsatz der Pädagogen, aber auch für ihre leistungsbezogene Bezahlung. Zudem sollen Lehrer grundsätzlich befristet beschäftigt werden.

"Masterplan" für Reformen

Ihre Arbeitsverträge sollen nur nach Teilnahme an Fortbildungen verlängert werden. Lehrpläne und Budgetrahmen müssten jedoch weiter vom Staat vorgegeben werden. Um Migranten und Kinder aus armen Familien besser zu fördern, soll der Staat Zielvereinbarungen mit einzelnen Schulen schließen und erfolgreiche Einrichtungen belohnen.

Mit ihrer Expertise, die an diesem Donnerstag öffentlich vorgestellt werden soll, wollen die Experten die Politik zum Handeln zwingen. Es handle sich um einen "Master-Plan" für Reformen, sagte der Vorsitzende des Aktionsrats, der Präsident der Freien Universität Berlin, Dieter Lenzen, der Süddeutschen Zeitung.

Die anderen Mitglieder des Rats sind führende Bildungsforscher, unter ihnen der Chef des deutschen Pisa-Teams, Manfred Prenzel, der Münchner Bildungsökonom Ludger Wößmann und der Direktor des Dortmunder Instituts für Schulentwicklung, Wilfried Bos. Der Aktionsrat wurde vor eineinhalb Jahren auf Initiative der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft hin gegründet. Während sich Studien wie Pisa oder der nationale Bildungsbericht, die von den Kultusministern in Auftrag gegeben werden, auf Diagnosen konzentrieren, gibt der Aktionsrat auch politische Empfehlungen.

Die Forderung, das Schulsystem zu entstaatlichen und Pädagogen nur noch befristet einzustellen, wird wohl auf massiven Widerstand der Lehrerverbände stoßen. Diese klagen seit Jahren über Verschlechterungen für ihren Berufsstand und warnen zudem vor einer "Testiritis" durch immer mehr Leistungskontrollen. Sie wehren sich auch gegen ein öffentliches Schulranking, das der Aktionsrat nun befürwortet. Lenzen forderte ein "transparentes Informationssystem", das Eltern einen Überblick über die Leistungen einzelner Schulen gebe.

In seinem gut 160 Seiten umfassenden Gutachten befassen sich die Wissenschaftler auch mit anderen Feldern der Bildungspolitik. Im Streit über das gegliederte Schulsystem plädieren die Experten für eine bundesweite Umstellung auf eine zweigliedrige Struktur aus Sekundarschulen und Gymnasien. Dies würde bedeuten, die Hauptschulen abzuschaffen, und entspräche dem Kurs, den derzeit die CDU in Hamburg einschlägt.

Kindergartenpflicht ab vier Jahren

Um Bildungschancen gerechter zu verteilen, muss nach Ansicht der Forscher zudem eine Kindergartenpflicht vom vollendeten vierten Lebensjahr an eingeführt werden. Kindergärten sollen ganztägig und beitragsfrei angeboten werden; damit stützt das Gutachten die Pläne der Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Die Ausbildung der Erzieher wollen die Experten durch akademische Abschlüsse aufwerten und mit dem Lehrerstudium verknüpfen.

Auch für die Hochschulen gibt es radikale Reformvorschläge. In Zukunft soll bei der Zulassung zum Studium weniger auf "formale Rechtstitel" wie das Abitur oder eine abgeschlossene Ausbildung geachtet werden, sondern allein die "Studierfähigkeit" entscheiden. Dies würde eine weitgehende Öffnung der Universitäten bedeuten; neben dem Abitur bekämen fächerspezifische Tests, die Hochschulen oder spezielle Test-Firmen anbieten, größeres Gewicht. In der Vergangenheit hat der Philologenverband immer wieder davor gewarnt, das Abitur zu entwerten.

© SZ vom 08.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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