Grundrechtereport:Bürgerrechtler kritisieren Umgang mit Flüchtlingen

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Bürgerrechtsgruppen spießen im Buch mit dem Ehrentitel "alternativer Verfassungsschutzbericht" kritikwürdige Vorgänge auf.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ilja Trojanow war dann doch nicht da. Der Schriftsteller wäre der Stargast zum Jubiläum des Grundrechtereports gewesen, doch das verhinderte die Bahn. Aber es reichte für ein paar gemailte Zeilen für die Bürgerrechtler, die zum 20. Mal das kritische Buch mit dem Ehrentitel "alternativer Verfassungsschutzbericht" präsentierten. "Es geistert die gefährliche Auffassung durch viele Köpfe, wir könnten uns Menschen- und Grundrechte nicht mehr leisten", schrieb der Autor. "Es herrscht ein weit verbreitetes Unverständnis, was Grundrechte ausmacht: Sie sind unveräußerlich und nicht ein Pfand auf dem Marktplatz der Realpolitik."

Damit hatte er ganz treffend umrissen, was den Grundrechtereport - zur Premiere seinerzeit übrigens von Heiner Geißler präsentiert - ausmacht. Es ist eine gewisse Sturheit in Verfassungsfragen, ein hartnäckiger Glaube an die Festigkeit der Grundrechte. Und eine unbeirrbare Absage an jede Aufweichung von Freiheit und Menschenwürde, wie sie von der mal pragmatischen, mal populistischen Politik gern als unverzichtbar bezeichnet wird, sei es, um den Terrorismus zu bekämpfen, sei es, um die Flüchtlingskrise zu lösen.

So haben die acht Bürgerrechtsgruppen, die das Buch mit seinen rund 40 Einzelbeiträgen verantworten, wieder kritikwürdige Vorgänge aufgespießt - oft genug Varianten dessen, was sie seit jeher kritisieren. Dieses Mal spielt das Thema Flüchtlinge eine Rolle. Ein Autor greift die "rassistische Mobilisierung und den rechten Terror" gegen Flüchtlinge auf, eine Autorin kritisiert den Militäreinsatz im Mittelmeer, der womöglich nicht nur Schlepper betreffen werde, sondern in Widerspruch zum völkerrechtlichen Verbot einer Rückschiebung von Flüchtlingen geraten könne. Oder der Datenschutz: Hier zeigt sich ein gewisses Grundvertrauen in die obersten Gerichtshöfe. Rechtsanwalt Till Müller-Heidelberg lobte etwa das Facebook-Urteil des Europäischen Gerichtshofs: "In den USA gibt es keinen Datenschutz, das ist nun so festgestellt." Auch die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung - hofft der Anwalt - werde erneut scheitern, beim EU-Gericht oder in Karlsruhe.

Wie sehr die Probleme aus der Gründerzeit des Reports manchmal den heutigen Konflikten gleichen, illustriert die Geschichte von Hermann Theisen, Jahrgang 1962, ein sehr beharrlicher Verteiler von Anti-Atomwaffen-Flugblättern. Seine Kritik gilt vor allem dem rheinland-pfälzischen Fliegerhorst Büchel, wo 20 amerikanische Atomsprengköpfe lagern sollen. Jüngst hat er die dortigen Soldaten aufgefordert, die Öffentlichkeit "umfassend über die militärischen Abläufe und Hintergründe" der Stationierung zu informieren. Ein Aufruf zum Whistleblowing, könnte man sagen, doch die Staatsanwaltschaft Koblenz hat Anklage wegen eines Aufrufs zur Verletzung von Dienstgeheimnissen erhoben. Womöglich droht ihm sogar Haft, weil er Wiederholungstäter ist: Seine Flugblätter bringen ihn schon seit Jahrzehnten in Konflikt mit der Justiz. Für ihn selbst zeigt der Fall eines: Die Meinungsfreiheit, die beim Bundesverfassungsgericht einen hohen Rang genießt, wird in den unteren Instanzen mitunter mit sehr kleiner Münze gehandelt.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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