Grüne: Parteitag in Berlin:Herr Kapitalismuskritik und Frau Klimarettung

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Linksruck bei den Grünen: Auf ihrem Parteitag beschließen die Grünen Mindestlohn, Garantie-Rente und höhere Hartz-IV-Sätze. Die beiden Spitzenkandidaten Künast und Trittin profilieren sich bei ihren Reden auf populärem Terrain.

Die Grünen wollen bei einer Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl einen flächendeckenden Mindestlohn von 7,50 Euro durchsetzen und eine Million neue Jobs schaffen. Dazu beschloss der Grünen-Parteitag in Berlin mit großer Mehrheit die Forderung nach einem "New Deal", einem grünen Neuanfang in der Wirtschaftspolitik.

Die Klimaretterin (Renate Künast) und der Kapitalismuskritiker (Jürgen Trittin) wollen zurück an die Macht. (Foto: Foto: AP)

Die deutsche Rentenversicherung wollen die Grünen langfristig zu einer Bürgerversicherung umbauen, in die alle Erwachsenen mit Einkünften einzahlen. Zudem will die Partei die sofortige Einführung einer Garantie-Rente durchsetzen, die über dem Hartz-IV-Niveau liegen soll.

Damit soll sichergestellt werden, dass Bürger, die lange im Niedriglohnsektor gearbeitet haben oder wiederholt arbeitslos waren, auch eine Rente erhalten. Außerdem votierten die Delegierten für eine Aufstockung des Arbeitslosengelds II und die Abschaffung der Praxisgebühr im Gesundheitswesen. Beobachter sprachen von einem Linksschwenk der Partei in der Sozialpolitik.

Das kann nur Grün

Die Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast warf der großen Koalition massives Versagen im Kampf gegen den Klimawandel vor. Unter Rot-Grün sei der Ausstoß von CO2 um 5,9 Prozent reduziert worden. In der Regierungszeit von Union und SPD habe es hingegen nur einen Rückgang von mehr als zwei Prozent gegeben.

"Die können keinen Klimaschutz, das kann nur Grün", rief Künast den Delegierten zu. Besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe nach ihrer medienträchtigen Reise vor zwei Jahren zu grönländischen Gletschern ihre Versprechen nicht gehalten. Sie betreibe heute Lobbyarbeit für ein rückwärtsgewandte Industriepolitik. Auch die SPD tue zu wenig gegen den Klimawandel, sagte Künast.

In dem Entwurf für ihr Wahlprogramm, das Samstagabend beschlossen werden sollte, fordern die Grünen, dass bis 2020 in Deutschland 40 Prozent weniger CO2 ausgestoßen wird als 1990. Mindestens 40 Prozent des Stroms und 30 Prozent der Wärme sollen dann aus Wind, Wasser, Sonne, Biomasse und Geothermie erzeugt werden.

Ein neues Stromnetz in der Hand einer teilstaatlichen Gesellschaft soll die Voraussetzungen für 100 Prozent Ökostrom schaffen. Solange C02 nicht sicher in der Erde gelagert werden kann, soll es keine neuen Kohlekraftwerke geben. Zudem sollen nach Vorstellung der Grünen 2020 bis zu zwei Millionen Elektroautos über deutsche Straßen rollen.

Der zweite Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin forderte zuvor in seiner Parteitagsrede eine grundsätzliche Reform des kapitalistischen Systems für einen Ausweg aus Rezession und Klimakrise. "Ein Wirtschaftssystem, das auf Spekulation, auf der Ausbeutung von Mensch und Natur aufbaut, ein solches System wird solche Krisen, wie wir sie jetzt erleben, immer wieder produzieren", sagte er.

"Wir müssen den Kapitalismus begrenzen"

Die gegenwärtigen Krisen hätten eine gemeinsame Wurzel: "Gewinnstreben. Man kann auch sagen: Profitgier", sagte Trittin. "Wir müssen diesen ungeregelten Kapitalismus begrenzen." Nötig sei jetzt ein neuer grüner Gesellschaftsvertrag.

Scharf griff Trittin Linke, FDP und die Regierungsparteien an. "Die große Koalition ist dieser globalen Herausforderung nicht gewachsen." Sie habe keine Wirtschaftskompetenz. "Das ist der blanke Dilettantismus, der dieses Land regiert." So glaube SPD-Vize-Kanzler Frank-Walter Steinmeier, "wirtschaftspolitische Kompetenz dadurch beweisen zu müssen, dass er den Ausverkauf von Autos organisiert", sagte Trittin mit Blick auf die Abwrackprämie.

Die Grünen forderten dagegen eine Finanzumsatzsteuer und eine Vermögensabgabe. Reiche wie etwa die Aldi-Familie Albrecht oder die BMW-Erben Quandt sollten stärker zur Kasse gebeten werden. Mit ihrem Geld solle der Sonderfonds zur Stabilisierung der Banken (Soffin) aufgefüllt werden.

Neue Partner

"Aus der Krise hilft nur Grün. Daher muss dieses Land wieder grün regiert werden", sagte Trittin. Für den Fall einer Beteiligung der Grünen an der nächsten Bundesregierung versprach Trittin die Schaffung von einer Million Arbeitsplätzen. Trittin sprach sich deutlich für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei nach der Bundestagswahl im September aus, sagte aber nicht, in welcher Koalition die Grünen ihre Vorstellungen verwirklichen wollen. Als Ziel gab er aus, die große Koalition zu beenden und Schwarz-Gelb zu verhindern.

Trittin und Renate Künast, die ebenfalls Spitzenkandidatin ist, war es nicht gelungen, die Ampelkoalition mit SPD und FDP als Wunschkoalition in das Parteiprogramm hineinzuschreiben.

Das 76-seitige Wahlprogramm trägt den Titel "Der grüne Neue Gesellschaftsvertrag". Vor allem der ökologische Umbau solle Arbeitsplätze schaffen, sagte Trittin. Dabei wollten die Grünen "industrielle Kernbranchen Deutschlands wie Automobil, Chemie, Maschinenbau und Elektroindustrie nicht als Gegner betrachten, sondern als Partner". Sie sollten "modernisieren, effizienter, erneuerbarer und kohlenstoffärmer werden".

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