Gründung:Im Namen der Tante

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Eine Familie, ein Pakt: Elisabeth Käsemann (Dritte von rechts) an der Seite ihres Vaters. Links, mit Puppe, ihre Nichte Dorothee Weitbrecht. (Foto: Privat)

Die Elisabeth-Käsemann-Stiftung will das Andenken der Opfer von Diktaturen bewahren.

Von Peter Burghardt und Josef Kelnberger, Stuttgart

In der weit verstreuten Familie Käsemann legte man Wert darauf, zumindest schriftlich Kontakt zu halten. Die Nichte Dorothee, damals zehn Jahre alt, galt als schreibfaul, deshalb gab sich Tante Elisabeth in Argentinien Mühe, die Kleine zu ermuntern: "Schließen wir einen Pakt", schrieb sie. "Du schreibst mir und ich schreibe dir! Einverstanden? Alles Liebe, deine Tante Elisabeth." Sie notierte, bevor sie die Karte in ein buntes Luftpostkuvert steckte, als Datum den 7. März 1977. In der folgenden Nacht, vom 8. auf den 9. März 1977, wurde Elisabeth Käsemann in Buenos Aires verhaftet und in ein Folterlager verschleppt. Die Soziologin aus Tübingen war in die argentinische Hauptstadt gezogen, um in den Armenvierteln zu helfen, doch eine rechtsextreme Militärdiktatur ließ 30 000 Andersdenkende verschwinden. Am 24. Mai 1977 wurde die 30 Jahre alte Deutsche gemeinsam mit 15 weiteren politischen Gefangenen mit Schüssen in den Nacken und den Rücken ermordet.

Die Nichte Dorothee, die mittlerweile den Namen Weitbrecht trägt und nun die Elisabeth-Käsemann-Stiftung gegründet hat, zeigt die Karte in ihrem Haus auf dem Stuttgarter Killesberg. Darauf ist eine Azteken-Gottheit zu sehen und eine schöne, rhythmische Handschrift. Deine Tante Elisabeth. Es war das letzte Lebenszeichen, das die Familie von ihr erhielt. Dorothee Weitbrecht sagt, sie habe damals die Unruhe im Elternhaus gespürt. Als die Nachricht von Elisabeths Tod eintraf, lag sie mit Windpocken im Bett. Als sie 15 Jahre alt war, stellte ihr die Mutter einen Leitz-Ordner auf den Tisch, darin Aufzeichnungen von Amnesty International über das Foltern und Morden der argentinischen Junta. "Das", sagt Dorothee Weitbrecht, "war wie ein Erweckungserlebnis für mich."

Der Pakt mit der Tante hat sie geprägt. Dorothee Weitbrecht ist Historikerin geworden. Um zu verstehen, warum Elisabeth Käsemann, die zum Freundeskreis von Rudi Dutschke zählte, 1968 nach Lateinamerika ging, schrieb sie ihre Dissertation über den Internationalismus der deutschen Studentenbewegung. Als 2009 endlich Generälen und Schergen in Argentinien der Prozess gemacht wurde, trat sie mit ihrem Vater als Nebenklägerin auf. Vor eineinhalb Jahren reiste sie dann nach Argentinien, sprach mit Angehörigen anderer Opfer, traf Richter und Menschenrechtler. "Ich merkte: Globalisierung funktioniert nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in universell-ethischen Bereichen. Das wollte ich nicht verloren gehen lassen." Deshalb hat sie im Namen ihrer Tante eine Stiftung ins Leben gerufen, am Mittwoch wurde in Stuttgart die Gründung gefeiert.

Die Erinnerungskultur sei in Deutschland allzu routiniert geworden, sagt die Nichte

Die Leiterin Weitbrecht will damit Erinnerungsprojekte fördern und Dialogforen bieten. Ihr Ziel: "eine internationale Erinnerungskultur, die Mord, Folter und staatliche Verfolgung ächtet." Die Stiftung unterstützt zum Beispiel die Verwandlung des ehemaligen Gefangenenlagers El Vesubio bei Buenos Aires, wo Elisabeth Käsemann gefoltert wurde, in eine Gedenkstätte. Und noch zukunftsweisender ist ein Menschenrechtsprojekt mit deutschen und spanischen Schülern. Man müsse neue Wege finden, um jungen Menschen die Erinnerung an Diktaturen und die Lehren daraus nahezubringen, findet Dorothee Weitbrecht. Gerade in Deutschland sei die Erinnerungskultur allzu routiniert geworden.

Bonn machte lieber Geschäfte mit dem argentinischen Regime, statt der gequälten Staatsbürgerin zu helfen. Dabei wussten das Auswärtige Amt unter Hans-Dietrich Genscher von Elisabeth Käsemanns Entführung. "Die deutsche Regierung hätte die Macht gehabt, sie zu retten", sagte ihr damaliger Freund Sergio Bufano 2011 der SZ. Seine Freundin unterstützte Oppositionelle wie ihn mit gefälschten Papieren, eine Terroristin war sie nicht. Sie wollte keine Gewalt, sondern Gerechtigkeit. Der Filmemacher Eric Friedler zeichnete in der ARD-Dokumentation "Das Mädchen" 2014 nach, wie erbärmlich wenig Deutschlands Politik und trotz eines Freundschaftsspiels in Buenos Aires auch der DFB ein Jahr vor der Fußball-WM in Argentinien für Elisabeth Käsemann taten.

Es war die Zeit der RAF, da hielten es die Diplomaten lieber mit einem Horrorregime, als dessen linken Herausforderern beizustehen. Selbst bei der Beerdigung der Ermordeten in Lustnau soll die Polizei die Trauergemeinde gefilmt haben. Immerhin beteiligte sich die gereifte Bundesrepublik an der Klage, als in Argentinien die Mörder und Folterknechte vor vier Jahren zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.

Elisabeth Käsemann war, wie ihre ganze Familie, geprägt von ihrem Vater. Der evangelische Theologe Ernst Käsemann wurde während der Nazizeit wegen einer Predigt verhaftet und lehrte zuletzt in Tübingen, wo er 1998 starb. Ein "protestantisches Wertesystem" hätten sie vermittelt bekommen, sagt Dorothee Weitbrecht. Sie hat ihre Tante vor allem wegen ihres "unglaublich herzlichen, ausdrucksstarken Lachens" in Erinnerung. Was junge Menschen von ihr lernen könnten? "Empathie, Zivilcourage", sagt die Nichte: "Die Fähigkeit, dicke Bretter zu bohren."

© SZ vom 26.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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