Große Ambitionen, gut versteckt:Roland Koch: "Ich bleibe in Hessen"

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Ein Ministerposten wäre nicht genug - wie der dienstälteste CDU-Ministerpräsident begründet, dass er nach einem Wahlsieg der Union nicht nach Berlin will.

Von Detlef Esslinger

Natürlich hört der Ministerpräsident nicht auf, am großen Rad zu drehen, während er in diesen Tagen die kleinen Pflichten des Amtes erfüllt. Roland Koch ist nach Weilburg gekommen, einer Kleinstadt zwischen Gießen und Limburg.

Bleibt seiner Fahne treu: Roland Koch. (Foto: Foto: dpa)

Im Kofferraum seines Dienstwagens liegt der Kleidersack, drei Tage will Koch sich auf dem Hessentag, dem Landesfest, aufhalten, drei Tage mit klassischem Landesvater-Programm: an einem Wettkochen teilnehmen, Rettungsmedaillen verleihen, beim Festzug auf der Ehrentribüne sitzen.

Auf der Terrasse des Jugendwaldheims wird er vom "Hessentagspaar" begrüßt, einer Frau im Biedermeierkleid und einem Mann in Garde-Uniform. Drei Meter weiter erledigt derweil ein Referent das Politische: "Sag dem Oettinger Bescheid", ruft der Referent ins Handy. "Dass wir noch Abstimmungsbedarf haben", "Die Bayern müssen es dem Stoiber sagen" - das sind so die Fetzen, die der Mann spricht, während er die Terrasse auf- und abgeht.

Es ist gewissermaßen das gesamte Spektrum der beruflichen Tätigkeit Roland Kochs, das auf dieser Terrasse dargeboten wird.

Nach Kräften mitmischen

Schon wahr, Koch gehört nicht zu den Autoren des Wahlprogramms von CDU/ CSU, das zurzeit geschrieben wird. Diese Arbeit sollen bis zum 11. Juli die Generalsekretäre Volker Kauder und Markus Söder, der Parlamentarische Geschäftsführer Norbert Röttgen sowie der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber, erledigen.

Aber die Vier arbeiten auf der Grundlage dessen, was ihnen aus den beiden Schwesterparteien an Forderungen und Positionen geliefert wird.

Koch mischt dabei nach Kräften mit. Sein Finanzminister Karlheinz Weimar liefert Berechnungen über eine Kapitalgewinn- und Abgeltungsteuer, eine neue Form der Unternehmensteuer, die Koch durchsetzen will.

Ein Interview mit dem Handelsblatt nutzt der Ministerpräsident, um öffentlich die Forderung danach zu erheben. In Bild am Sonntag kündigt er an, bei einem Wahlsieg werde die Union die Qualifizierung von Arbeitslosen drastisch einschränken.

Keine Nachrichtenagentur, die solche Brocken anschließend nicht aufnimmt. "Unsere Kombination muss sein, Ihnen allen" - er meint die Medien - "jeden Tag etwas vorzusetzen, und gleichzeitig in Ruhe zu arbeiten."

Es wäre merkwürdig, ja schlimm, sagt Koch, wenn übers Wahlprogramm keine öffentliche Diskussion mehr stattfände.

Aber in eine mögliche CDU-geführte Bundesregierung eintreten? Die Frankfurter Rundschau meldete am vergangenen Wochenende unter Berufung auf Berliner "Fraktionskreise", Koch werde sich einem Ruf nach Berlin "nicht verschließen".

Ohnehin lässt derzeit bei ihm kein Interviewer die Berlin-Frage aus - obwohl bei dem Thema diesmal wenig zu holen ist. Vor drei, vier Jahren war das anders, da hat Koch die Spekulationen, er strebe eine Kanzlerkandidatur an, durchaus genossen und befördert.

Diesmal aber lassen seine Antworten wenig Interpretationsspielraum: "Ich bleibe in Hessen", so oder entsprechend lauten seine Worte. Eindeutiger geht es nicht.

Die Wahrheit - zumindest die halbe

Auf ein Gespräch über seine Motive lässt er sich durchaus ein. In einigen Interviews hatte er zur Begründung bereits hinzugefügt, dass Hessen eine Baustelle sei, auf der vieles noch nicht fertig sei. Das Argument war die Wahrheit. Die halbe.

Es stimmt schon, Koch hat in Hessen eine ganze Reihe von Baustellen eröffnet: Bei der Erweiterung des Frankfurter Flughafens um eine vierte Start- und Landebahn handelt es sich nach wie vor um ein teilweise unsicheres Projekt.

Die Universitätskliniken Gießen und Marburg will er zum 1. Juli fusionieren und anschließend privatisieren, ein Vorhaben, wie es in Deutschland bisher nicht versucht worden ist.

Überhaupt will der Ministerpräsident die Uni-Landschaft in Hessen neu ordnen, den Hochschulen die Verantwortung über ihre Etats geben und Orchideenfächer auf wenige Standorte konzentrieren.

In Hünfeld bei Fulda lässt er ein teilprivatisiertes Gefängnis bauen, ebenfalls das erste dieser Art in Deutschland. Alles Unternehmungen, in denen Koch Modelle sieht, wie der Staat in Zeiten leerer Kassen dennoch öffentliche Aufgaben erfüllen kann.

Er nennt die Projekte "Module mit hohen Risiken" und sagt, ein Wechsel nach Berlin wäre eine "fahrlässige Unterbrechung" dieser Management-Aufgabe. In der Tat also zahlreiche Baustellen - aber wann wird ein Land je ohne Baustellen sein?

Natürlich kommt ein anderer Grund hinzu. Seit Jahren muss Koch sich mit der Vermutung auseinander setzen, jeden Job nur als Zwischenstation auf dem Weg zum jeweils nächsthöheren zu betrachten.

Nach dem Motto: Mit 20 Jahren CDU-Kreisvorsitzender, mit 32 Jahren Chef der hessischen Landtagsfraktion, mit 41 Jahren Ministerpräsident, da muss wohl noch etwas kommen.

Jetzt, im Alter von 47, ist er der dienstälteste CDU-Ministerpräsident. Vermutlich strebt er langfristig eine Veränderung auch an; aus der Kanzlerkandidaten-Spekulationszeit ist seine Äußerung erinnerlich, er habe den Hessen nie versprochen, sein gesamtes Leben ihr Ministerpräsident zu bleiben.

Und dass er Angela Merkel nur für bedingt grandios hält, hat er auch nicht immer verbergen können.

Mit der Folge allerdings, dass er in Berlin niemals nur Minister wäre: "Von der Sekunde an, in der ich in Berlin wäre, würden permanent Rivalitäts-Aspekte herbei geschrieben", sagt Koch. "Das nützt weder Angela Merkel noch mir."

Zum ersten Geiger ungeeignet

Es gibt Menschen in der Union, die sagen, über den Ehrgeiz, Minister werden zu wollen, sei der Mann längst hinaus.

Gemeint ist damit, dass ein solcher Job nicht dessen Naturell entspräche. Koch sei der klassische Dirigenten-Typ - zum Ersten Geiger aber selbst im besten Orchester nicht geeignet.

Wo soll man jemanden platzieren, über den die meisten zwar meinen, als Analytiker, Rhetoriker und Manager sei er dem Großteil der Mannschaft überlegen, inklusive der Chefin.

Bei dem aber auch die Einsicht erst reifen musste, vielleicht das Zeug zum Kanzler, keinesfalls aber zum Kanzlerkandidaten zu haben; dafür sind seine Image-Werte in der Öffentlichkeit einfach zu katastrophal.

Auch mal quer schießen

Da bleibt Koch besser in Wiesbaden, wo er nur in Maßen zur Disziplin verpflichtet ist: Bei einem Ministerpräsidenten, der die Interessen eines Landes zu vertreten hat, gehört es zum Job, mal quer zu schießen.

Koch erzählt, dass unter seinen Kollegen aus den anderen Bundesländern gelegentlich auf Verwunderung stößt, wie er sein Amt ausfüllt. "Wie kann man so bekloppt sein, an acht von zehn Tagen auf dem Hessentag zu sein?", wird er gefragt.

Mit anderen Worten: Neigung könne das ja kaum sein, schon gar nicht bei einem wie ihm. Warum muss sich der Ministerpräsident persönlich darum kümmern, wie in Weilburg die Teilnehmer am Festzug mit Getränken verpflegt werden?

Koch zählt noch einmal die Ämter auf, die sich in jeweils jungen Jahren für ihn ergaben. "Einer wie ich muss bei jedem Außenstehenden vor allem als ehrgeizig gelten." Er habe es inzwischen aufgegeben, gegen dieses Image zu kämpfen. Also arbeitet er einfach so weiter, wie er immer gearbeitet hat. Und irgendwann wird sich wieder etwas ergeben.

© SZ vom 28.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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