Gnade für Chelsea Manning:Obamas spätes Signal

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Der scheidende Präsident ist hart gegen Whistleblower vorgegangen. Nun will er auch seinem Nachfolger ein Zeichen geben, dass Transparenz problematisch sein kann, aber nötig ist.

Von ANDRIAN KREYE

Es war keine leichte Entscheidung für Barack Obama, der Whistleblowerin Chelsea Manning Strafmilderung zu gewähren. Immerhin stand auch Edward Snowden auf der Liste der Kandidaten für eine Begnadigung, wie sie amerikanische Präsidenten in der Regel kurz vor Weihnachten und vor dem Ende der Amtszeit aussprechen. Obamas Entscheidung ist jedoch ein deutliches Signal. Das waren seine Begnadigungen fast immer.

Insgesamt hat er in seiner Amtszeit 1597 Strafen nachgelassen oder aufgehoben. Die meisten Begnadigten saßen wegen Drogen in Haft. Die Botschaft war eindeutig: Obama hält den Krieg gegen Drogen für rassistisch und überzogen.

Der Fall Manning verwundert erst einmal. Kein US-Präsident hat Whistleblower mit solcher Härte verfolgt wie Obama. Manning wurde 2010 verhaftet, weil sie Material über das Grauen der Kriege und die Winkelzüge der Diplomatie an die Enthüllungswebseite Wikileaks weitergeleitet hatte. Das brachte ihr ein hartes Urteil ein, 35 Jahre Haft. Edward Snowden ist seit 2013 auf der Flucht, weil er Daten über die weltweiten Überwachungsnetze amerikanischer und befreundeter Geheimdienste an Journalisten der britischen Zeitung The Guardian gegeben hat. Er gilt als Staatsfeind.

Unter Präsident Trump wird sich das Weiße Haus abschotten

Die Begründung des Weißen Hauses, warum nur Manning eine Verminderung des Strafmaßes bekam, ist schlicht. Manning habe nur "normales" Geheimmaterial und keine "Top-Secret"-Akten entwendet. Die USA kamen durch die Enthüllungen nicht zu Schaden, und Manning stellte sich den Behörden, war geständig.

Snowden dagegen entwendete auch Dokumente mit höchster Geheimhaltungsstufe. Er richtete so nach Ansicht der USA Schaden an. Außerdem ist er auf der Flucht und befindet sich in Moskau auf dem Gebiet einer Nation, die der Regierung Obama als feindselig gilt. Rechtlich wäre es möglich gewesen, ihn auch ohne vorherige Verurteilung zu begnadigen. Gerald Ford hatte das für Richard Nixon getan, Jimmy Carter für Kriegsdienstverweigerer der Vietnam-Ära.

Mit seinen politischen Gnadenbotschaften ist Obama nicht der Erste, der vom ursprünglichen Gedanken der präsidialen Gnade abrückt. Er ist nur deutlicher als viele Vorgänger. Eigentlich wollten die Verfassungsväter dieses Recht nicht aufnehmen, weil es eine monarchische Geste der britischen Krone war. Alexander Hamilton bestand dann darauf. Er fand, dass solche Gnadenerlasse für jeden Präsidenten ein gutes Mittel seien, um Rebellionen zu besänftigten. So kam es dann auch beim ersten Mal. Im Sommer 1795 begnadigte George Washington zwei Bauern, die während der "Whiskey Rebellion" gegen Alkoholsteuern gekämpft hatten.

Obama will aber keine Rebellen besänftigen. Er will sich nicht bei den Millionen beliebt machen, die Whistleblower wie Chelsea Manning, Julian Assange oder Edward Snowden für globale Volkshelden halten. Er will seine eigene Härte revidieren und ein Beispiel liefern, das in den Trump-Jahren sowohl der Justiz als auch potenziellen Enthüllern so etwas wie eine historische Ermunterung hinterlässt.

Dieses Signal ist deutlich. Donald Trump betrachtete schon während der Interimszeit Meinungsfreiheit als Beleidigung seiner Person, Lüge als persönliches Privileg und Medien als eine Art organisierten Verrat. Dazu kommen die Interessenkonflikte seiner Firmen und Familie, seine Schulden im Ausland und die Verwicklungen einiger Kabinettsmitglieder. Whistleblower könnten in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen. Denn auch wenn New York Times und Washington Post ihr Personal aufstocken, gegen eine Regierung, die sich abschottet, tut sich auch der beste Journalismus schwer.

Es steckt aber noch eine Botschaft in der Gnade für Manning, wenn auch nur im Subtext. Ein Argument in der Begründung war die Härte der Strafe. Seit sieben Jahren sitzt sie in Haft, seit 2011 im Männergefängnis der US-Streitkräfte von Fort Leavenworth in Kansas, weil sie für Dinge verurteilt wurde, die sie noch als Bradley Manning, als Mann tat. Weil es aber kaum brutalere Männergesellschaften gibt als Gefängnisse, kann man nur erahnen, wie es Manning als Transgender-Frau dort ergeht. Sie versuchte sich deswegen schon das Leben zu nehmen. Mit dem Effekt, dass sie in Isolationshaft kam, die Menschenrechtsorganisationen als Folter betrachten.

Auch da ist das Signal deutlich. In einem Klima, in dem die Hetze gegen Minderheiten von alleroberster Stelle geduldet, wenn nicht gefördert wird, ist Chelsea Manning als Transfrau besonders zu schützen. Mag sein, dass Gnadenerlasse eines Präsidenten nur Gesten sein sollen. Bei Obama sind sie auch Appell.

In einer früheren Version hatten wir geschrieben, Lyndon B. Johnson hätte Richard Nixon begnadigt. In Wirklichkeit war es Nixons Nachfolger Gerald Ford, 38. Präsident der USA. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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