Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Unser aller Zeit auf Erden beginnt mit der Jugend, sie endet mit dem Alter, und zwischen beidem liegt ein sonniger Moment des Glücks, den wir Lebensmittelpunkt nennen. Dieser Punkt ist super, er verspricht innere Ruhe und eine Sekunde der Einkehr im ansonsten ewigen Gerenne. Vor und nach dem Punkt nämlich ist leider die Hölle los. Wer jung ist, wer also nichts hat außer einem Rucksack voller Scham und einem Satz bunter Bettwäsche, der entwickelt erste Fliehkräfte. Es ist eine Flucht nach vorn, ein Drang nach Zugehörigkeit, man will sein und zwar dabei - in der Whatsapp-Gruppe von Nele, beim Knutschen auf der Rüstzeit, unter den Erstgewählten beim Schulsport. Man will hinein ins Leben, rauf auf die Uni, hinfort mit ihr, aber nicht jener und wenn doch, dann nur um, ja warum wohl. Eines Tages dann entdeckt man beim Blick in den Spiegel ein graues Haar und beim Gang zum Briefkasten eine freundliche Mahnung der Schutzgemeinschaft für Robbenbabys. Jahresbeitrag. War man aus Euphorie beigetreten? Aus Weltschmerz? Oder nur, weil die Frau mit dem Formular und dem bunten T-Shirt so nett gelächelt hatte? Wer wüsste es, wen kümmerte es. Man will jetzt eh nur noch weg, die Flucht des Alters ist eine Flucht nicht zu, sondern vor den Dingen. Es beginnt der Kampf gegen unnötigen Hausrat, zu viele E-Mails, gegen die Gebrechlichkeit. Das Leben wird zur Abwehrschlacht, immer öfter wünscht man sich das, was kaum auszuhalten war, als man es noch hatte: seine Ruhe.

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