Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Ist es nicht unfassbar, was in letzter Zeit alles abgelehnt wurde? Im April lehnten die Niederländer in einer Volksabstimmung ein Partnerschaftsabkommen der EU mit der Ukraine ab; am Donnerstag lehnte Bulgarien die Beteiligung an einer regionalen Flottille mit der Türkei und Rumänien im Schwarzen Meer ab. Der bulgarische Ministerpräsident sagte, er wolle im Schwarzen Meer lieber große Schiffe mit Touristen und Yachten sehen und keine Flottillen. Die SPD-Innenminister in den Ländern lehnen den Vorschlag von Thomas de Maizière ab, Amateurpolizisten gegen Einbrecher einzusetzen. Viele Deutsche lehnen darüber hinaus auch Einbrecher ab. Und jetzt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sogar noch Günther Jauchs Klage gegen die Veröffentlichung seiner Hochzeitsfotos abgelehnt. Eine knappe soziologische Frage zwischendurch: Leben wir in einem Zeitalter der Ablehnung? Ist es historisch richtig, zu sagen, dass sich früher die Völker gegen Vieles aufgelehnt haben und heute lehnen sie alles ab? Die Antwort lautet: Schwer zu sagen.

Zum Beispiel wollte Rom im Jahre 200 sehr gerne Krieg gegen Makedonien führen. Die Makedonier sind den römischen Feldherren nämlich dermaßen auf den Zeiger gegangen, dass der damalige Konsul Servius Sulpicius Galba das Volk auf dem Marsfeld zusammentrommelte und es bat, sich wie ein Mann gegen die Makedonier aufzulehnen. Aber das Volk lehnte das ab, und es ist ja ganz oft so: Wenn Völker die Gelegenheiten bekommen, etwas ablehnen zu können, tun sie es zumeist. In der Schweiz lehnt das Volk heute so gut wie alles ab: das bedingungslose Grundeinkommen, die Erbschaftsteuer, die Abschaffung des Tausend-Franken-Scheins, die Deutschen. Ablehnung ist eine von Natur aus eher unerfreuliche Kulturtechnik - sie hat etwas Kaltes, Unversöhnliches und Rechthaberisches, es sei denn, sie richtet sich gegen die Ablehnung anderer Menschen, dann ist sie ein schönes soziales Schweißgerät.

Die Ablehnung hat eine hübsche kleine Schwester, die zwar ähnlich tickt wie die Ablehnung, aber über deutlich mehr Empathie und Fingerspitzengefühl verfügt. Es handelt sich um die "freundliche Ablehnung"; wer sie zugesendet bekommt, weiß zwar, dass er das, was er will oder vorschlägt, haken kann. Aber er hat zumindest das Gefühl, dass sein eigenes Scheitern die Laune des anderen nicht allzu sehr getrübt hat. Der Dichter Rafik Schami verwahrt in seinem Arbeitszimmer einen Aktenordner, der prall gefüllt ist mit freundlichen Ablehnungen. Es handelt sich um Begleitbriefe, welche die Verlage seinen abgelehnten Manuskripten beigelegt haben. In einem Interview sagte Schami gerade: "Eine Ablehnung ist eine Ohrfeige, eine Kopfnuss. Aber das macht nichts." Das ist das eine. Das andere: Laut Umfrage lehnen fast 90 Prozent der Eltern Ohrfeigen ab.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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