Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Wolfgang Schäuble ist zwar evangelisch und auch sonst ein viel beschäftigter Mann, aber dass Papst Franziskus kürzlich ein "Heiliges Jahr der Barmherzigkeit" ausgerufen hat, ist ihm sicher nicht entgangen. Vielleicht hat er in diesem Zusammenhang auch gehört, was Thomas von Aquin über die Barmherzigkeit sagt. Thomas zufolge ist sie insofern die größte der Tugenden, als sie sich über die anderen ergießt und deren Mängel aufhebt, "quod defectus aliorum sublevet". Wenn also, wie dieser Tage geschehen, Schäuble gewisse politische Einlassungen Sigmar Gabriels für mangelhaft hält, müsste er die Tugend der Barmherzigkeit, falls vorhanden, mobilisieren und so lang über Gabriel ausgießen, bis dessen Ansichten wieder in Ordnung sind, zumindest in einer für Schäuble akzeptablen Ordnung. Doch was tat Schäuble stattdessen? Er bezeichnete Gabriels Forderung, über den Flüchtlingen die einheimischen Bedürftigen nicht zu vergessen, als "erbarmungswürdig". Das wiederum brachte ihm den Vorwurf der SPD-Generalsekretärin Katarina Barley ein, sein Beharren auf der schwarzen Null sei "nun wirklich erbarmungswürdig".

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