Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) So in Richtung Weihnachten werden bekannten Menschen gerne Fragen gestellt, die ein warmes Licht auf die geistige Verfasstheit dieser Menschen werfen sollen. Das gilt vor allem für die Frage nach der Lieblingslektüre. Ganz oft deckt sich die Lieblingslektüre der Leute rein zufällig mit Titeln auf der Spiegel-Bestsellerliste. Also: kurz auf die Liste kucken, sehen, was sonst so gelesen wird, und das Buch ganz schnell liken. Wer noch ein bisschen sophistischer antworten möchte, schaut sich bei den Gewinnern diverser Buchpreise um, ach hier: Frank Witzel, das Buch über die RAF, ja, das lese ich besonders gerne! Weil die RAF uns auch heute noch eine Menge zu sagen hat, so ungefähr. Es klingt immer gut und klug, wenn man einen großen Bogen von der Lieblingslektüre zur Gegenwart schlagen kann. Franz Beckenbauer hat das vor einigen Jahren sehr schön am Beispiel des Romans "Sofies Welt" von Jostein Gaarder vorgemacht, einem, so Beckenbauer fachmännisch, "philosophischen Schinken", der von Sokrates, Aristoteles und Platon handle - allesamt Leute, die sich vor 2000 Jahren sogenannte Gedanken gemacht hätten, zu einer Zeit also, da wir - also Beckenbauer und noch ein paar andere - auf Bäumen gesessen und sich vor Wildschweinen gefürchtet hätten. "Seither", so Beckenbauers damaliges Lektüre-Resümee, "haben sich nur ganz wenige weiterentwickelt."

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