Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Die Freunde von Marcel Proust und seinem schönen Romanwerk haben jenen trüben Nachmittag stets vor Augen, da der junge Marcel, ganz gegen seine Gewohnheit, eine Tasse Tee zu sich nahm. Dass Leute in Romanen Tee trinken, ist für sich genommen nichts Besonderes. Auch dass sie feines Gebäck eintunken, kommt vor, man machte das früher öfter so, und besonders in Frankreich hat das Eintunken von Gebäck in ein Heißgetränk viele Anhänger. Marcel Proust berichtet in seiner berühmten "Suche nach der verlorenen Zeit", er habe sich eines jener "dicken, ovalen Sandtörtchen" kommen lassen, die man Madeleines nennt, und er schickt, hier ganz bildverliebter Romanpoet, noch hinterher, das Törtchen sehe aus, als habe man für seine Herstellung die Form der Jakobsmuschel verwendet. Sei's drum oder wie Proust sagen würde, tant pis! Der Junge taucht die Madeleine in den Tee, und dann geht bei ihm sofort die Post ab: unerhörtes Glücksgefühl, alle Katastrophen schnurren auf ein lächerliches Maß zusammen, adieu Minderwertigkeitskomplex, adieu Sterblichkeit! Die Madeleine und der Tee haben den jungen Mann in den Gefühls-Olymp gefeuert. Man muss sich das bitte einmal vorstellen: Dieses Empfinden, für das man als normal Fühlender in einen versifften Amsterdamer Coffee-Shop gehen muss - hier kriegt man das von der Frau Mama mit einem Tässchen Tee und einem albernen Gebäckstück geliefert.

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