Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Wann die ausgestellte Lässigkeit ihren Platz in der großen Politik gefunden hat, ist vermutlich schwer datierbar. Vielleicht waren es die Boccia-Sessionen Konrad Adenauers, die den ersten Bundeskanzler sogar zum Verzicht auf die in seiner Generation pflichtgebundene Krawatte verführten. Möglicherweise hatten auch die Turnübungen Walter Ulbrichts das Zeug zur demonstrativen Lockerung der Sitten, aber das war ja sowieso nur die elende Propaganda von Dunkeldeutschland damals. Lasst uns noch weiter im politischen Fotoalbum blättern: Ja, hier: Willy Brandt 1972 in Florida, nackter Oberkörper und Flasche Bier in der Hand, ein gewitzter CDU-naher Redakteur hätte unter das Bild geschrieben: "Die deutschen Sorgen sind weit weg"; Gerhard Schröder und Bruno Bruni, der Maler, in Italien - auch sehr große Gestalten des Laisser-faire. Aber das ist ja ein ganz altes Schätzchen hier: der dicke Friedrich Ebert in der Badehose, im Juli 1919 in Haffkrug in der Ostsee stehend - mit dieser Aufnahme fühlte sich der Reichspräsident alles andere als beschenkt, denn das ganze Reich lachte ihn aus. Was lässig sein sollte, kam bei näherer Betrachtung eher würdelos daher, und wenn es überhaupt eine Lehre aus der Geschichte der Weimarer Republik geben sollte, dann die, niemals Badehosen zu tragen, sofern man im Hauptberuf Reichspräsident ist.

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