Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Natürlich hatten die Maler, wenn sie die Taufe Jesu im Jordan darstellten, anderes im Kopf als topografische Genauigkeit. Sie wollten so glaubhaft wie möglich zeigen, dass Jesus sich damit unter die sündigen Menschen einreihte, dass er im Untertauchen und Heraussteigen seinen Tod und die Auferstehung zeichenhaft vorwegnahm, und was der Deutungen sonst noch sein mögen. Also verlegten sie das Tableau in Flusslandschaften, in denen die Alexanderschlacht, ein Raftingurlaub oder das Urteil des Paris ebenso gut hätten stattfinden können. Auf vielen Bildern wird der Taufakt mitten im Wasser vollzogen. Andere zeigen ihn am Ufer, was für Johannes den Täufer den Vorteil hat, dass er über Jesus steht und sich beim Taufen nicht unnötig strecken muss. Die Erbauung ist hier wie dort gesichert. Was unsicher bleibt, ist die Lage des Ufers. Man könnte sie aus der Fließrichtung des von Norden nach Süden strömenden Jordans eruieren, doch haben so gut wie alle Maler darauf verzichtet, diese abzubilden. Ist ja auch nicht ganz einfach.

Nun gibt es manche Dinge, bei denen es auf historische Gewissheit nicht wesentlich ankommt: Ob Homer blind war oder nicht, spielt allenfalls für die Geschichte der Augenheilkunde eine Rolle, und ebenso irrelevant ist, ob der Doktor Faust wirklich aus Knittlingen im Enzkreis stammte. Da bei der Taufe Jesu indessen theologisch Bedeutsames mitverhandelt wird, wollten die Gläubigen immer schon wissen, wo genau dieses Ereignis stattgefunden haben könnte. So verwundert es nicht, dass man, bei der Vagheit der Quellen, sowohl das West- als auch das Ostufer dafür reklamierte. Frömmigkeit allein ist es nicht, die solche Doubletten zuwege bringt. Da steckt auch der Tourismus mit drin, was in diesem Fall besonders pikant ist, weil die eine Taufstätte im Westjordanland liegt, die andere in Jordanien, und weil weder in noch zwischen diesen beiden der Friede des Herrn in dem Maß verwirklicht ist, wie Jesus das gern gesehen hätte.

Dass derlei Stätten zum Weltkulturerbe gehören, unterliegt keinem Zweifel, mag der Taufplatz Jesu zwischen Erbstücken wie dem Benz-Patent von 1886, dem Krabbenfischen auf Pferden in Oostduinkerke oder der Semmeringbahn gleich ein wenig fremdeln. Die Unesco hat sich jetzt für die östliche Seite entschieden, was in Jordanien große Freude ausgelöst hat und insofern nicht ganz unvernünftig ist, als Johannes der Täufer dort gewirkt haben soll. Er tat dies, um vor König Herodes, der ihm übelwollte, halbwegs sicher zu sein - eine vergebliche Vorsichtsmaßnahme, wie man aus der Bibel sowie, ausführlicher und um einiges drastischer, aus Richard Strauss' Oper "Salome" weiß. Das Einzige, das sich der örtlichen Zuordnung immer schon entzogen hat, ist der Heilige Geist, der damals in Gestalt einer Taube herniederkam. Man darf annehmen, dass sein Wirken für beide Ufer des Jordans ausreichte.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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