Glosse:Das Streiflicht

Lesezeit: 2 min

(SZ) München ist bekanntlich eine Stadt, deren Sorgen die meisten anderen Städte der Erde gern hätten. So viele Zugereiste, so teures Festbier. Manchmal kommen Leute, die wollen Häuser bauen, und diese Häuser sehen nicht aus wie andere Häuser, dann sind die Bürger sehr empört. Einige Münchner sind gerade ganz besonders empört, also noch mehr als sonst. Der Freistaat will ihnen ein Denkmal in die Nachbarschaft setzen. Ja, nehmen die Zumutungen denn nie ein Ende?

Es wäre freilich ein Denkmal für die Opfer des Olympiaattentats von 1972, wie die ermordeten israelischen Sportler. Wer sich die nicht ganz unbegründete Frage stellt, wer um alles in der Welt, zumindest in der Welt der Münchner, etwas gegen ein solches Denkmal haben könnte, kennt den deutschen Anwohner schlecht. Er empfindet die Welt als Zumutung, eigens geschaffen, ihm, dem guten und gerechten Bürger, das Leben schwer zu machen. Um mit Schopenhauer, der das Nörgeln und Schwarzsehen zur Philosophie erhob, zu sprechen: Der Anwohner sieht die Welt mit dem Willen und der Vorstellung, sie habe sich verschworen, gegen ihn, ihn allein. Finstere Mächte haben ihm eine Kita ins Haus gesetzt, nur um ihn zu quälen mit Plagengeschrei und verwerflichen Kinderwägen im Flur. Nachbarn lachen abends fröhlich auf ihrer Terrasse, zu fröhlich für ihn, und überschreiten beim Umbau die Traufhöhe um völlig unzulässige 5,3 Zentimeter. Und zieht er hinaus aufs Dorf, um endlich Ruhe zu finden, brüllen dort jeden Morgen in der Frühe die Kühe aus dem Stall heraus, als brauche der Mensch keinen Schlaf. Da muss man doch einfach zum Anwalt gehen.

Nun könnte man einwenden, dass ein Denkmal eher wenig Lärm macht. Es mindert nicht den Quadratmeterpreis. Das hält den deutschen Anwohner aber nicht davon ab, zu lamentieren. Er selbst bestimmt, was als Zumutung zu gelten hat. Kritik und Gegenargumente nimmt der Anwohner gar nicht gut auf. Wer nicht seiner Meinung ist, will den Menschen von oben etwas aufzwingen und verletzt den demokratischen Diskurs. Die Gegenseite versteht, ob aus Dummheit oder Perfidie, einfach nicht, was für den Anwohner doch sonnenklar ist. Das Denkmal für die Opfer des Olympiaattentats könnte im Winter die Rodler stören. Hat da wirklich kein Planer vorher dran gedacht? Das Denkmal könnte anders aussehen als der Anwohner dies wünscht, nämlich bestenfalls unsichtbar zu sein. Es könnte Vandalen anlocken, weshalb es mit Videokameras gesichert werden müsste, die wiederum eventuell Garten und Schlafzimmer des Anwohners ausspähen würden. Am Ende übertragen sie noch live in die Überwachungszentrale, wie der Anwohner nächtelang Petitionen in den PC hackt. Es gibt Menschen, die solche Sorgen haben. Aber eigentlich hätte man diese Sorgen doch nicht so gern.

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: