Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Sitzen ein paar rheinische Köppe vor der Kölschkneipe und nehmen schön einen. Fragt einer, wem denn der geile Opel Manta hier vor dem Lokal gehöre. Rückt ein anderer sein Goldkettchen zurecht, lächelt selbstgefällig und sagt: "Isch." Zugegeben, der Scherz ist etwas schlicht, umschreibt aber gar nicht so übel die Befindlichkeit dessen, was man heute als Ego-Gesellschaft bezeichnet und beklagt. Man könnte natürlich auch mit Martin Heidegger sagen: Die seinsgeschichtliche Substitution wäre die Ablösung des cartesischen ego cogito durch ein ego volo. Das müssten dann freilich die Heidegger-Experten erst einmal erläutern. Doch sind sie derzeit zu beschäftigt, mit der Erklärung nämlich, warum der Philosoph so lustvoll den Nazis hinterherstreunte, ego volo, und warum seine Lehren für uns alle heute dennoch ein so herrlicher Leitstern seien.

Das Prinzip Ich jedenfalls, heißt es, finde sein Sinnbild im Selfie. Die Leute stehen vor der Cheopspyramide oder einem zugenagelten Schlecker-Markt in Oberhausen, sie besuchen ein Konzert des Gangsta-Rappers Kollegah oder eine Nilpferdsuhle in Nordnamibia, egal. All dem, was sie sehen wollten, drehen sie sofort den Rücken zu und stellen sich selbst in den Mittelpunkt: klick. Ich, ich, schaut alle. Es kann, nebenbei, unerfreuliche Folgen haben, wenn die Flusspferde, die Besuch von jeher wenig schätzen, sich drohend aus dem Schlick erheben und man leider in die falsche Richtung zur Kamera blickt. Oder wenn Kollegahs Freunde, bekannt als das Stiernackenkommando, plötzlich zu der Auffassung gelangen, der Selfieschütze befinde sich ein wenig nahe an der Bühne. Aber auf dem Foto ist nachher alles drauf.

Das Selfie als Inkarnation der Ich-Gesellschaft: Diese Haltung frommt dem Ich eines jeden Kulturkritikers ausgesprochen, erhebt sie ihn doch, zumindest in den eigenen Augen, himmelhoch über seine der Verblödung anheimfallenden, in ihre Geräte glotzenden Mitmenschen. Leider meldet Spiegel online nun die Entdeckung, dass sich schon in den ersten, noch tastenden Anfängen der Fotografie vor 175 Jahren die Fotografen eigentlich am liebsten selbst abbildeten. Belegt wird dies durch verwackelte Aufnahmen, etwa sich in den Fokus drängender, aufdringlich grinsender Herren mit Walrossbart und Bowlerhut: Ich! Ich! Diese Botschaft ist in Wahrheit so alt wie die Menschheit. Und so schlimm ist das alles gar nicht. Was hätte aus Narziss werden können, der sich in sein Spiegelbild verliebte, das ihm vom See entgegensah - vielleicht der berühmteste Egoshooter der klassischen Dichtung. Aber nein. Er nahm sich das Leben, als ein leises Kräuseln der Wasseroberfläche das Antlitz verzerrte. So viel steht fest: Hätte er nur ein Smartphone mit Selfie-Profifunktion dabeigehabt, wäre ihm das nie passiert.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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