Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Es ist vollkommen irrsinnig: Wo wir gehen und stehen werden wir von Nachrichten befeuert, von Informationen aufgepeitscht, von Hintergrundberichten gedemütigt. In unseren Köpfen findet alles gleichzeitig statt: Elmau, Tsipras' Unzufriedenheit mit den Vorschlägen seiner Gläubiger, Kirchentag, Viagra für Frauen; der Poststreik kommt zwar erst kommende Woche, springt aber als schlechte Nachricht schon teuflisch aus unseren Briefumschlägen. Hinzu kommen die Komplexe, die uns ohnehin Tag und Nacht beschäftigen: Feminismusdebatte, Literaturkritikdebatte, Homo-Ehe-Debatte, myTaxi-Rabatte. Dazwischen erreicht uns eine Eilmeldung nach der anderen: Nowitzki sagt Teilnahme an Basketball-EM zu; Griechenland kann Juni-Raten in Einmalzahlung begleichen; Le beaujoulais nouveau est arrivé!

Die letzte Eilmeldung erwies sich als verfrüht abgefeuert - der Beaujoulais nouveau kommt erst gegen Herbst. Was aber dieses Wochenende mit großem Blingbling kommen soll: der Sommer. Die deutsche Presseagentur hat ein umfassendes Infopaket gepackt, in welchem alle Fakten zu diesem Wetterphänomen gebündelt und eingeordnet werden. Die meisten Menschen wissen nicht, was Sommer ist; besonders junge Leute glauben, Sommer sei ein Gewaltrapper aus Bad Cannstatt. Aber das ist nicht richtig. Im dpa-Sommerpaket von elf Uhr vierzig steht: "Steigen die Temperaturen auf mehr als dreißig Grad, sprechen die Meteorologen von einem heißen Tag." Der Rest der Bevölkerung spricht dagegen hilflos von einem Tag, der sich irgendwie anders anfühlt als die anderen Tage, aber wie genau, weiß keiner. Es ist den meisten auch nicht geläufig, ob es in den vergangenen Jahren schon einmal ähnliche Tage gegeben hat und wie die Menschen damals damit umgegangen sind. Und es fehlt auch, ehrlich gesagt, eine meteorologische Instanz wie Jörg Kachelmann, der uns das Wetter von Morgen so erklärt hat wie Margot Käßmann uns heute die "Ethik des Genug" erklärt: Wenn alles zu viel wird, muss man sich in die Schweiz (Kachelmann) oder auf den Feldherrnhügel der Meinungshoheit (Käßmann) zurückziehen, egal wie das Wetter wird.

Es gibt einen Teilaspekt des Sommers, der selbst einer Premium-Informationsranschafferin wie der dpa ein bisschen Kopfzerbrechen bereitet: die Schwüle. Kein Mensch weiß, wo die Hitze aufhört und wo die Schwüle anfängt. Im Grunde ist es mit der Hitze und der Schwüle so ähnlich wie mit Frankfurt und Offenbach. Da weiß auch kein Mensch, wo das eine aufhört und das andere anfängt. Hoffentlich schickt dpa noch viele Informationen zum Sommerphänomen; hoffentlich lassen die uns nicht im Stich; jede Auskunft ist willkommen, auch was es bedeutet, wenn plötzlich Wolken am Himmel aufziehen, also auch Nebensächlichkeiten, alles, wir wollen alles wissen.

© SZ vom 06.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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