Glosse:Das Streiflicht

Lesezeit: 2 min

(SZ) Claus Weselsky wurde in Dresden geboren, er lebt heute in Leipzig, und es liegt schon in dieser Verbindung ein zarter Hinweis auf den beklagenswerten Niedergang des sächsischen Dialekts. Zwischen diesen Städten nämlich dampfte die erste deutsche Fernbahn. Sie dampfte in einer Zeit, in der man als Zugreisender noch nicht alle zehn Minuten aus seinen Gedanken gerissen wurde. Heute klimpern fahrende Händler mit ihren Bollerwagen vorbei und die Schaffner heißen Zugbegleiter, begleiten aber den Zug nicht mehr. Stattdessen werden sie an jedem zweiten Bahnhof ausgetauscht, zum Zwecke der Rechtfertigung einer neuerlichen Kontrolle des Billetts. Damals aber, als die Bahn dampfte, schaute man ununterbrochen ins vorbeifliegende Land und man erinnerte sich der Bedeutung Sachsens wie auch des Sächsischen. War es nicht das Meißner Kanzleideutsch gewesen, in welches Luther die Bibel übersetzt hatte? Ja, das war es, lange bevor das anämische Hannover zum Gardemaßstab des Hochdeutschen erkoren wurde. Schickte nicht, wer es sich leisten konnte, seine Kinder aus dem Westen zum Studium nach Leipzig, um ihnen den Erwerb des Sächsischen zu ermöglichen? Ja, so war es, aber wer seine Kinder heute schickt, der schickt sie wegen der günstigen Mieten. War Sächsisch nicht die Kultursprache gewesen, ein must speak der Oberen? Das war es, ja, und ist es doch nicht mehr.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken
OK