Gipfel in Straßburg und Baden-Baden:Nato unter Stress

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Die Nato feiert ihren 60. Geburtstag - und weiß weniger denn je, wer sie ist und wohin sie strebt. Die Bündnispartner gehen immer häufiger getrennte Wege. Die Allianz muss ihre Ambitionen zügeln, wenn sie in Zukunft überleben will.

Martin Winter, Straßburg

Die Nato begeht ihren sechzigsten Gründungstag in einer Zeit, in der sie weniger denn je seit dem Ende des Kalten Krieges weiß, wer sie ist und wohin sie will. Wenn die feierlichen Reden verklungen und die schönen Bilder der neuen transatlantischen Gefühligkeit mit Barack Obama ausgiebig über die Fernsehschirme geflimmert und die friedlichen und auch die gewalttätigen Demonstranten nach Hause gegangen sind, dann steht das Bündnis immer noch vor der Frage, die es seit dem Verlust seines Gründungs-Gegners Sowjetunion umtreibt: Wo ist der Platz der Allianz in einer sich rasch ändernden Welt?

Dass die Allianz auf diese Frage auch bei ihrem Geburtstagsgipfel in Straßburg und Kehl nicht antwortet, zeugt von einer großen Angst, sich auf der Suche nach sich selbst zu verlieren. Diese Furcht kommt nicht von ungefähr.

Vor zehn Jahren hatte sich die Nato mit dem Krieg gegen Serbien zur Befriedung des Kosovo auch eine neue, dem 21. Jahrhundert und seinen Herausforderungen angemessene Identität geben wollen. Zum fünfzigsten Geburtstag spendierte sich die bis dahin als reines Verteidigungsbündnis fungierende Allianz selbstbewusst eine neue Aufgabe: die Krisenbewältigung. Und mit dem "euroatlantischen Raum" legte sie sich einen erweiterten, aber geographisch immer noch eingeschränkten Einsatzradius zu.

Eine Dekade später steckt die Allianz weit jenseits dieses Raumes in einem schwierigen Krieg in Afghanistan. Bis nach Asien hinein knüpft sie Partnerschaften. Und ihre Kriegsschiffe kreuzen bei der Jagd auf Terroristen vor der afrikanischen Küste.

So bedeutsam diese Einsätze auch sein mögen, und so richtig es ist, den Taliban und al-Qaida in Afghanistan massiv entgegenzutreten, so wenig ergibt das eine zukunftsweisende Strategie. Die Hoffnung, dass sich aus einer globalen Einsatzpraxis ein neuer Westen quasi naturwüchsig herausschält und die Nato zu einem, vielleicht sogar dem entscheidenden Spieler in der internationalen Sicherheitspolitik macht, konnte sich nicht erfüllen. Denn das Ende des Kalten Krieges hat in der Allianz Fliehkräfte freigesetzt, die heute noch wirken.

Unterschiedliche Weltsicht

Anders als viele ihrer Gegner glauben, ist diese Nato keine den Weltfrieden gefährdende Kriegsmaschinerie, sondern ein von den Alliierten sehr zögerlich benutztes Instrument zur Bewältigung von Krisen. Das hat Gründe. Solange der gemeinsame Gegner (Sowjetunion) und der Bündnisfall (Angriff auf einen von uns) klar und unbestritten waren, hielt ein festes Band die Allianz zusammen. Doch wer ist heute Gegner? Was sind gemeinsame Interessen? Und wie geht man mit Krisen richtig um?

Wer diesen Fragen nachspürt, wird schnell merken, dass die Bündnispartner einen unterschiedlichen Blick auf die Welt pflegen. Eine einheitliche, lange anhaltende Strategie ist so nicht zu entwerfen. Beispiel Russland: Während die meisten westeuropäischen Staaten und die USA in Moskau keinen Gegner mehr sehen, sondern einen wichtigen Partner, misstrauen die Osteuropäer den Russen tief. Und sie verlangen, mehr Nato-Truppen und Waffensysteme an die russische Grenze zu verlegen. Weil beides aber nicht gut zusammengeht, ist die Allianz in der Klärung ihrer Beziehungen zu der Atommacht Russland behindert.

Auch darüber, was die angemessene Antwort auf eine durchaus als gemeinsam erkannte Bedrohung wie etwa den islamistischen Terrorismus ist, gehen in der Nato die Meinungen gelegentlich sehr weit auseinander. Über den Krieg gegen den Irak hätte sie sich beinahe selbst zerrissen. Auch in Afghanistan haben sich die Alliierten lange über den richtigen Weg in den Haaren gelegen.

Dass dem Gipfel nun eine veränderte, den europäischen Vorstellungen angenäherte Strategie zu Afghanistan vorliegt, ist zwar gut, aber nicht wirklich Zeugnis für einen neuen Geist im Bündnis. Die neue amerikanische Regierung reagiert nur klarsichtiger als ihre Vorgängerin auf die Lage in Afghanistan.

Der Grundkonflikt über den Umgang mit Krisen bleibt der Nato aber erhalten. Er äußert sich nicht zuletzt darin, dass die Europäer beim Umbau ihrer Armeen und in ihren Rüstungsanstrengungen deutlich hinter den USA zurückbleiben. Andererseits aber verfügen sie über deutlich bessere Kräfte und vor allem Ideen für die zivile Krisenbewältigung und für den Aufbau von Staaten.

Partnerschaft unter Stress

Noch sind die Partner nicht geschieden, aber sie gehen immer häufiger getrennte Wege. Nach dem großen terroristischen Angriff auf New York und Washington nahmen die USA das Angebot der Nato gerne an und akzeptierten die Ausrufung des Bündnisfalls. Dann aber zogen sie es vor, den "Krieg gegen den Terror" nach ihren Vorstellungen zu führen. Die Idee von der "Koalition der Willigen" setzt jeder ernsthaften Partnerschaft aber ein Ende.

Die Europäer sind ihrerseits dabei, der EU einen immer stärkeren außenpolitischen Arm zu geben. Der ist zwar noch lange nicht so muskulös. Aber der Nato erwächst in der EU eine Konkurrenz - plötzlich ist die Allianz nicht mehr das allein bestimmende sicherheitspolitische Forum für ihre Mitglieder. Gewiss, die Neigung der Europäer, außen- und sicherheitspolitisch ihren eigenen Weg zu gehen, ist noch schwach und wird immer wieder durch das Misstrauen der osteuropäischen Länder gebremst. Aber es wird sich verstetigen.

Denn die EU ist ein Bund von Staaten mit einer respektablen politischen Verflechtung. Dieser Bund wird bei der Neuordnung der Welt seine Interessen durchsetzen wollen. In der Auseinandersetzung mit aufstrebenden Mächten wie China oder Indien, die ihren angemessenen Platz im Konzert der Großen verlangen, werden europäische und amerikanische Interessen nicht immer in die gleiche Richtung gehen. Die Partner werden sich also von Fall zu Fall als Konkurrenten begegnen.

Die Nato sollte sich als Instrument verstehen

Ihren siebzigsten Geburtstag wird diese Allianz nur erleben, wenn sie sich von Träumen verabschiedet. Sie war nie eine politische Macht und sie wird auch nie eine sein. Weltpolitik machen andere. Die USA, die EU, Russland, China, Frankreich, Großbritannien oder Iran - und manchmal sogar Deutschland.

Die Zukunft der Nato liegt also erstens darin, das zu bleiben, was sie immer war: Ein Versprechen ihrer Mitglieder, einander beizustehen und sich vor Angriffen zu schützen. Mangels Gegner mag das zur Zeit nur ein theoretischer Fall sein. Aber nach aller historischen Erfahrung bleibt es von hohem Wert, ein Bündnis zur Verteidigung und zur Abschreckung einzugehen und zu erhalten.

Und zweitens sollte sich die Nato auch in Zukunft als Instrument verstehen. Ein Instrument, das sich die Partner in Reserve halten, sollten sie sich auf einen militärischen Einsatz in einer Krise geeinigt haben. Jeder Ehrgeiz, der über diese beiden Aufgaben hinausgeht, wird die Allianz zerstören. Die Antwort auf die Sinnfrage der Nato ist einfach. Der Sinn liegt darin, sich zu bescheiden.

© SZ vom 04.04.2009/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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