Gipfel-Agenda:Das Zauberwort aus Brüssel

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Ratspräsident Donald Tusk setzt das Thema Sicherheit als zentralen Punkt auf die Agenda des Bratislava-Gipfels. Ziel ist es, wieder eine Verbindung herzustellen zwischen der EU und ihren Bürgern.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Worauf es ankommt beim großen Gipfel Ende der Woche in Bratislava, passt auf ein Blatt Papier. Einflussreiche Menschen in Brüssel tragen es mit sich herum und verteilen es bei Bedarf auch gern. Zu sehen sind da, in verschiedenen Farben, sechs Linien. Sie stehen für die Themen, denen die Bürger der Europäischen Union über die Jahre die größte Bedeutung beimessen - und sie zeigen eine enorme Veränderung in relativ kurzer Zeit. Im Mai 2011 zählten dem Eurobarometer zufolge mehr als 80 Prozent der Befragten die wirtschaftliche Situation zu den zwei wichtigsten Anliegen. Etwa 45 Prozent nannten auch die Finanzpolitik. Im Juni 2016 sind das gerade einmal noch 19 beziehungsweise 16 Prozent. Die dringendsten Probleme nach Ansicht der Bürger sind jetzt: Einwanderung und Terrorismus. Das sagen 48 beziehungsweise 39 Prozent.

Für EU-Ratspräsident Donald Tusk liegt die Agenda für den Bratislava-Gipfel, der einen Weg für die Zeit nach dem Brexit weisen soll, damit auf der Hand. "Es ist meine tiefe Überzeugung, dass es unsere Priorität sein sollte, die Kontrolle im Bereich der inneren Sicherheit und über unsere Außengrenzen wiederzugewinnen", sagte er während seiner Tour durch die EU-Staaten nach einem Treffen mit dem luxemburgischen Premierminister Xavier Bettel. "Nie wieder sollten wir erlauben, dass sich das Chaos von 2015 wiederholt."

Soldaten bereiten vor dem Europäischen Parlamt in Straßburg das Hissen der Europaflagge vor. (Foto: Frederic Maigrot)

Sicherheit ist das Zauberwort, das von Brüssel Besitz ergriffen hat, was sich auch an diesem Mittwoch in der Rede zur Lage der Union von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor dem Europäischen Parlament in Straßburg bemerkbar machen wird, die dem Bratislava-Gipfel vorgeschaltet ist. Dahinter steht die Hoffnung, endlich wieder eine Verbindung herzustellen zwischen EU und Bürger. Bei Veranstaltungen in der Heimat haben auch Europaabgeordnete die Erfahrung gemacht, dass Sicherheit das richtige Schlagwort ist. "Das leuchtet den Leuten ein", sagt Herbert Reul, der Chef der CDU/CSU-Gruppe im Parlament. Denn: "Jeder kapiert, dass ein Land alleine es nicht schaffen kann."

Nun soll der Europäische Grenzschutz auch tatsächlich aufgebaut werden

Doch was können die Staats- und Regierungschefs in Bratislava "schaffen"? Deutschland und Frankreich wollen sich noch einmal für das einsetzen, was in der EU nach jedem Anschlag gelobt wird: eine verstärkte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. So soll es leichter werden, verschlüsselte Kommunikation von Terroristen zu überwachen. Allerdings, wie der Grünen-Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht meint, "mit der falschen Herangehensweise". Wenn Hersteller gezwungen würden, Schlupflöcher für Verschlüsselungstechnik bereit zu stellen, greife das in die Freiheit aller Internet-Nutzer ein.

Nicht nur der Angst vor dem Terror soll in Bratislava begegnet werden. Die Rede wird auch wieder vom Aufbau eines Europäischen Grenzschutzes sein, der nun wirklich richtig beginnen soll. Tusk möchte überdies die militärische Rolle der EU betonen - und begibt sich damit auf unübersichtliches Terrain. Schon in den frühen 50er-Jahren war eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft gescheitert. Alles, was danach kam, blieb halbherzig. Im Vertrag von Lissabon wird die gemeinsame Verteidigungspolitik als "integraler Bestandteil" der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU bezeichnet. Was aber erst einmal nur eine "schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union" bedeutet. Von einer europäischen Armee, wie sie zuletzt etwa wieder Ungarn und Tschechien ins Gespräch gebracht haben, ist die EU weit entfernt.

Allerdings lotet die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini derzeit aus, wie sich die EU einer gemeinsamen Verteidigung annähern könnte. "Unsere Union ist in Gefahr", steht in einer Globalen Strategie, die sie im Juni präsentiert hat und eine engere Zusammenarbeit anmahnt. Bei einem Treffen in Bratislava legte sie kürzlich erste Vorschläge vor, wie das umgesetzt werden kann. So teste sie die Idee, die bisher in den europäischen Verträgen schlummernde "permanente strukturierte Zusammenarbeit" in die Tat umzusetzen.

Sollte es tatsächlich gelingen, die EU stärker in eine Sicherheitsgemeinschaft zu verwandeln, würde das freilich auch die Gewichte in der Gemeinschaft verlagern. Zu spüren ist das schon jetzt. Am Freitag versammelte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras die Kollegen aus Frankreich, Italien, Portugal, Zypern und Malta sowie Spanien zu einem Süd-Gipfel, der auch an die wirtschaftlichen Nöte erinnern sollte. Um Spaltung, wurde betont, gehe es natürlich nicht. Bruchstellen zeigen sich allerdings bereits, etwa im Europaparlament. Der CSU-Politiker und Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, warf Frankreichs Präsident François Hollande "Kungeln mit den Kommunisten aus dem Süden" vor. Als "erbärmlich" geißelte der Chef der Sozialdemokraten im Parlament, der Italiener Gianni Pittella, Webers Angriff. Verantwortlich für die Krise sei die Austeritätspolitik von "Falken" wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Eigentlich sind Weber und Pittella im EU-Parlament durch etwas Ähnliches wie eine Koalition verbunden. Beide Fraktionen stützen jedenfalls die Kommission von Jean-Claude Juncker. "Wir haben hier keine große Koalition", betont indes Pittella. Für die Sozialdemokraten komme es nun auf starke Signale für mehr Wachstum an. Das erwarte er von der Rede Junckers und auch vom Gipfel in Bratislava.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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