Giftanschlag im Wahlkampf:Wettstreit mit unfairen Mitteln in der Ukraine

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Der populäre Kandidat der Opposition ist von einer rätselhaften Krankheit geschwächt. Offenbar ist er vom Geheimdienst vergiftet worden.

Von Thomas Urban

Auf den Plakaten strahlt Viktor Juschtschenko, der Kandidat der Opposition. Sein schwarzes Haar weht im Wind, er wirkt dynamisch. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Haare sind strähnig und grau. Das Gesicht ist von Pusteln übersät, die Augen sind entzündet.

Sichtlich entstellt vom Giftanschlag: Viktor Juschtschenko. (Foto: Foto: Reuters)

Dagegen scheint der bullige Premierminister Viktor Janukowitsch, der sich auch um das höchste Staatsamt bemüht, vor Kraft zu strotzen. Er geht breitbeinig, die kräftigen Schultern sind vorgeschoben, die Backen aufgeblasen.

Im Falle seines Rivalen Juschtschenko ist der Unterschied zwischen Bild und Wirklichkeit allerdings keineswegs auf die üblichen Manipulationen von Stylisten und Fotografen zurückzuführen. Vielmehr rührt der schlechte Zustand Juschtschenkos, des früheren Reformpremiers, von einer "Biobombe" her.

So nennen es die Wiener Ärzte, die ihn untersucht haben, nachdem er im September über ständige Schmerzen im ganzen Körper geklagt, unter Übelkeit und Konzentrationsschwächen gelitten hatte. Bis heute ist es nicht gelungen, die genaue Zusammensetzung der Substanz festzustellen, die man ihm vermutlich ins Essen gemischt hat.

In Kiew kursieren zwei Versionen, wer Juschtschenko vergiftet haben könnte: der ukrainische oder der russische Geheimdienst. In der Tat kann es den in Kiew herrschenden Industrieclans aus der Ostukraine - an ihrer Spitze Staatspräsident Leonid Kutschma und Ministerpräsident Janukowitsch - nicht daran gelegen sein, dass der prowestliche Ex-Premier an die Spitze des Staates tritt.

Das wollen auch die Außenpolitiker des Kreml vermeiden, die alle ehemaligen Sowjetrepubliken wieder unter den Einfluss Moskaus zu bringen suchen. Juschtschenko hat hingegen im Wahlkampf klargestellt, dass er die Ukraine an EU und Nato heranführen möchte. Kiew würde dann schleunigst den von Moskau angestrebten "gemeinsamen Wirtschaftsraum" verlassen.

Das Gründungsdokument dazu hatte Kutschma vor einem Jahr gemeinsam mit Kremlchef Wladimir Putin, dem weißrussischen Alleinherrscher Alexander Lukaschenko und dem Kasachenpräsidenten Nursultan Nasarbajew unterzeichnet.

Gleichzeitig möchte Juschtschenko die staatlichen Monopole zerschlagen und westliches Kapital ins Land holen. Daran aber ist Moskau kaum interessiert; russische Rohstoffkonzerne und Banken kontrollieren bereits einen Großteil der ukrainischen Industrie und des Finanzsektors.

Putin ist kürzlich eigens nach Kiew gekommen, um für Janukowitsch zu werben. Der Wahlkampf hat erneut gezeigt, wie sehr die Ukraine gespalten ist: Die überwiegend griechisch-katholische Westukraine strebt weiter nach Westen, den industriell geprägten russisch-orthodoxen Osten zieht es zum großen Nachbarn.

Vor allem war es ein schmutziger Wahlkampf, nicht nur wegen des Giftanschlags auf den Oppositionsführer. Die Behörden, allen voran der ukrainische Staatssicherheitsdienst SBU, haben mehrere Dutzend Aktivisten der Kampagne Juschtschenkos unter fadenscheinigen Gründen verhaftet. Dem privaten Fernsehsender Kanal 5, der auch Juschtschenko zu Wort kommen ließ, wurde die Sendelizenz entzogen.

Dafür trommelten die staatlichen Sender für Janukowitsch. Nach Meinung westlicher Beobachter kann kein Zweifel daran stehen, dass die OSZE Kiew wegen dieses offenkundig unfairen Wahlkampfes rügen wird.

Vielleicht wäre ein derartiges Verdikt, vermuten Eingeweihte in Kiew, Kutschma sogar recht: Er könnte dann beide Kandidaten von der Staatlichen Wahlkommission disqualifizieren lassen. Dann käme wohl ein dritter Mann zum Zuge: Leonid Kutschma. Zwar hatte er erklärt, er strebe keine dritte Amtszeit an. Aber mit dem Argument, einen Bürgerkrieg zu verhindern, würde er sich sicherlich gern noch einmal bitten lassen.

Präsidentschaftskandidat Viktor Juschtschenko wird auf Wahlveranstaltungen von den Fans umjubelt, die auf Westbindung und Demokratie setzen. Er wurde Opfer eines Giftanschlages, der sein Gesicht dauerhaft entstellt hat (linkes Foto vor der Vergiftung, rechtes danach).

© SZ vom 30. Oktober 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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