Gewerkschaften:Karlsruhe stärkt kleine Gewerkschaften

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Das Verfassungsgericht entscheidet: Die Regierung darf die Macht kleiner Berufsgruppen wie Piloten und Lokführer nicht brechen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Tarifeinheitsgesetz, das die "Blockademacht" der Spartengewerkschaften brechen sollte, bleibt nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts weitgehend in Kraft. Allerdings haben die Karlsruher Richter wesentliche Teile des 2015 erlassenen Gesetzes zugunsten der Kleingewerkschaften uminterpretiert und damit ihren Schutz gestärkt, um den Eingriff in ihre Grundrechte möglichst gering zu halten. Gewerkschaften aus dem Tarifgeschehen herauszudrängen oder Berufsgewerkschaften generell die Existenzgrundlage zu entziehen, wäre mit dem Schutz der Gewerkschaften im Grundgesetz unvereinbar, heißt es in dem Urteil.

Mit dem Gesetz zur Tarifeinheit wollte die Regierungskoalition die Position der gewerkschaftlichen Vertretung kleiner Berufsgruppen wie etwa Lokführer und Piloten schwächen, die dank ihrer Schlüsselpositionen mit geringem Aufwand wirkungsvolle Arbeitskämpfe führen können. Danach soll sich stets derjenige Tarifvertrag durchsetzen, hinter dem die Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb steht. Aus Sicht der Richter ist dieser "Verdrängungseffekt" aber eine zu scharfe Waffe, weshalb sie ihn nun durch ihre "verfassungskonforme Auslegung" mehrfach abgemildert haben. Das Gericht verfügte zum Beispiel, dass den Arbeitnehmern langfristige Leistungen aus früheren Tarifverträgen - wie Alterssicherung oder Arbeitsplatzgarantie - nicht verloren gehen dürfen. Zudem stellt das Gericht klar, das Streikrecht der Spartengewerkschaften dürfe nicht durch Haftungsrisiken der Gewerkschaften eingeschränkt werden. Das Streikrecht "bleibt unangetastet", heißt es im Urteil.

Geklagt hatten elf Gewerkschaften; das Gericht hat zunächst in fünf Verfahren entschieden. Ihre Reaktionen fielen sehr gemischt aus. Klaus Dauderstädt, Vorsitzender des Beamtenbundes dbb, nannte das Urteil "schwer nachvollziehbar". Die vom Gericht vorgenommenen Ergänzungen würden das Gesetz kaum praktikabler machen. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund fühlte sich "gestärkt und anerkannt", auch Claus Weselsky von der Lokführergewerkschaft GDL sah den Angriff auf die Berufsgewerkschaften abgewehrt. Dagegen warnte die Pilotenvereinigung Cockpit davor, dass kleine Gewerkschaften auch weiterhin befürchten müssten, verdrängt zu werden. Weitgehend einig waren sich die Gewerkschaften in der Kritik, dass nun viele Detailfragen von den Arbeitsgerichten geklärt werden müssten. "Wenig Licht, viel Schatten", kommentierte Verdi-Vizechefin Andrea Kocsis. Arbeitgebervertreter werteten das Urteil dagegen überwiegend positiv.

Harsche Kritik am Ergebnis kam auch aus dem Gericht; zwei Mitglieder des Senats hatten eine abweichenden Meinung formuliert. Der Wunsch, faire Tarifverhandlungen zu garantieren, lasse sich mit diesem Gesetz nicht erfüllen. Eine friedliche Kooperation der Gewerkschaften lasse sich nicht erreichen; dazu fehle der Anreiz, wenn eine Seite alle Trümpfe in der Hand habe. Zu befürchten seien vielmehr "Häuserkämpfe" um die betriebliche Mehrheit.

© SZ vom 12.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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