Gewerkschaften:Das französische Modell

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Die Arbeitervertreter im Nachbarland wollen nicht in den Unternehmen mitbestimmen. Sie bevorzugen den - oft politischen - Kampf. Das bekommt dem Land nicht gut.

Von Detlef Esslinger

Aus deutscher Perspektive wirken die Streiks in Frankreich eigenartig. An diesem Mittwoch werden dort viele Züge nicht fahren, außerdem bleiben vier von acht Raffinerien bestreikt, am Wochenende folgt die Flugaufsicht. In Deutschland wären diese Aktionen nicht möglich: Denn sie richten sich nicht gegen Arbeitgeber, sondern gegen die Regierung. Sie sind nicht Teil eines Tarifkonflikts, sondern ein Mittel der politischen Auseinandersetzung.

Auch in Deutschland gibt es Akteure, die meinen, französische Gewerkschaften um das Instrument des politischen Streiks beneiden zu müssen; vor allem in der Partei Die Linke und in Teilen der Gewerkschaft Verdi finden sich diese Akteure. In Wahrheit müssten sie ihre Kollegen bedauern. In keinem anderen EU-Land sind Gewerkschaften so schwach wie in Frankreich. Lediglich acht Prozent der Arbeitnehmer sind noch organisiert; der Durchschnitt in der EU beträgt 23 Prozent, in Deutschland liegt die Quote immerhin bei 18 Prozent. Nur in wenigen Tarifkonflikten wären die französischen Gewerkschaften in der Lage, mit einem Streik Wirkung zu erzielen. In der Auseinandersetzung mit der Regierung fällt dies leichter - es braucht ja nicht viele Mitmacher, um ein Tankdepot zu blockieren. Mit den Aktionen gegen die Arbeitsmarktreform der Regierung erheischt die Gewerkschaft CGT eine Bedeutung, die sie im Alltag nicht hat.

Im Nachbarland wird lieber gekämpft, statt mitzubestimmen

Frankreich und Deutschland mögen geografisch nur durch einen Fluss voneinander getrennt sein; kulturell aber liegt ein Meer zwischen ihnen. Sehr grob skizziert, fühlen sich Deutsche in Gemeinschaften gut aufgehoben und sehen im Konsens einen Wert an sich. Franzosen hingegen betonen viel stärker das Individualistische, zugleich pflegen sie ihre Neigung zum Revolutionären. "In einer solchen Welt zählen der unmittelbare Vorteil oder die Vermeidung des unmittelbaren Nachteils", so hat dies vor einiger Zeit zum Beispiel Denis Jeanson, ein Franzose in den Diensten der deutschen Personalberatung Kienbaum, erklärt. Es sei in seinem Heimatland schwierig zu erklären, dass Reformen im Arbeitsrecht per saldo Arbeitsplätze schaffen könnten. " Per saldo ist hier der springende Punkt - aus der von Individualismus geprägten Sicht." Und eine Mitbestimmung nach deutschem Vorbild gibt es in Frankreich nicht. Sie wird von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern gleichermaßen abgelehnt: Die einen wollen sich nicht hineinreden lassen, die anderen sich nicht mit Angelegenheiten des Managements beflecken.

Wer aber im Alltag mehr Gelegenheiten hat, übereinander statt miteinander zu reden, findet relativ schnell einen Anlass zur Eskalation. In Deutschland gibt es seit exakt 40 Jahren in Großunternehmen die paritätische Mitbestimmung. Derzeit versuchen viele Konzerne, sich durch allerlei juristische Tricks ihr zu entziehen. Vermutlich tun sie das auch deshalb, weil sie den sozialen Frieden an diesem Produktionsstandort für so selbstverständlich halten. Das Beispiel Frankreich zeigt, was alles passiert, wenn er dies ganz gewiss nicht ist.

© SZ vom 01.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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