Gewaltenteilung:Unionspolitiker attackieren Karlsruher Richter

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Bundestagspräsident Lammert will den Einfluss des Verfassungsgerichts eindämmen, CSU-Chef Horst Seehofer sorgt sich besonders um das Urteil zum Betreuungsgeld.

Von Wolfgang Wittl, Frank Müller, Berlin/München

Führende Unionspolitiker sind erzürnt über Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den vergangenen Jahren. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hält etwa den "deutlich erkennbaren Gestaltungsanspruch" der Richter in "hochpolitischen Fragen" wie der Ausgestaltung des Wahlrechts für problematisch. Er plädierte daher in der Welt am Sonntag für eine Grundgesetzänderung, um den Einfluss der Richter bei dem Thema einzudämmen.

Lammert, der seit einiger Zeit immer wieder Sprüche aus Karlsruhe kritisch kommentiert, bezog sich dabei vor allem auf die Entscheidung, die Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen aufzuheben, was zuletzt im Jahr 2008 bei einem Urteil für das Land Schleswig-Holstein der Fall gewesen ist. Dies führt nach Meinung des CDU-Politikers zu einer Zersplitterung der Gemeindeparlamente. Das Urteil habe "ruinöse Folgen" für die Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene, sagte Lammert. "Wir haben hier eine der wenigen wirklichen Lücken in der Verfassung", sagte Lammert. Das Grundgesetz schweige "zu den Grundsätzen des Wahlsystems, zur Frage nach Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht, nach Sperrklauseln oder dem Ausgleich von Überhangmandaten". Diese Lücke verleite das Gericht dazu, in den Spielraum des Gesetzgebers einzugreifen.

Allerdings gibt es seit längerer Zeit in fast keinem Bundesland mehr eine Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen. Einige Länder hatten bereits lange vorher die Klauseln abgeschafft, sei es aus eigenem Antrieb der regierenden Politiker, sei es nach Entscheidungen der zuständigen Landesverfassungsgerichte.

Unterstützt wird Lammert in seiner Kritik vom Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU). Dieser griff das Gericht wegen der Abschaffung der Dreiprozenthürde bei Europawahlen an. In dem Urteil komme "die Verachtung einiger Richter für Politik zum Ausdruck", sagte Brok. In eine ähnliche Kerbe schlugen CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. "Karlsruhe muss wieder stärker respektieren, dass die gesellschaftlichen Grundentscheidungen durch den Gesetzgeber, durch Politik und Parlament getroffen werden", sagte er der SZ.

Die CSU baut mit Blick auf die bevorstehende Entscheidung zum Betreuungsgeld weiter politischen Druck auf. "Aus kritischen Rückfragen der Richter schließe ich noch nicht auf das Urteil. Das Verfassungsgericht sollte sich aber bewusst sein, dass es hier eine große gesellschaftspolitische Verantwortung trägt", sagte Parteichef Horst Seehofer am Sonntag der SZ. Zuvor hatte der CSU-Abgeordnete Max Straubinger im Spiegel betont, sollte der Bund nach Meinung der Richter nicht zuständig fürs Betreuungsgeld sein, "dann muss man auch die Beteiligung des Bundes am Kita-Ausbau der Länder infrage stellen". Seehofer sagte, falle das Betreuungsgeld, sei er in Sorge, "dass dann auch andere familienpolitische Leistungen gekippt werden könnten".

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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