Gesundheitssystem:Der Hausarzt tut's oft auch

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Eine aufwendige Behandlung im Krankenhaus – wie hier im brandenburgischen Prenzlau – ist nicht immer so nötig, wie Patienten selbst meinen.

(Foto: Sean Gallup/Getty)

Experten wollen Bürger dazu bringen, seltener Spezialärzte aufzusuchen.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Immer mehr Deutsche, die sich krank fühlen, fahren in die Notaufnahme eines Krankenhauses statt zum Hausarzt zu gehen - auch dann, wenn sie nur ein Schmerz im Rücken plagt. Diesen seit Jahren feststellbaren Trend sollte die Bundesregierung dringend umkehren, empfiehlt der Sachverständigenrat Gesundheit in seinem neusten Gutachten. Die Wissenschaftler dieses Gremiums beraten regelmäßig Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Sie empfehlen ihm nun eine ganze Reihe von Änderungen im Gesundheitssystem. Ihrer Ansicht nach sollten künftig alle Patienten zunächst bei der Notrufnummer 112 anrufen und sich von Mitarbeitern einer zentralen Leitstelle beraten lassen. Diese sollen künftig nicht nur einen Rettungswagen vermitteln können, sondern auch einen Bereitschaftsarzt oder einen Termin bei einer Praxis in der Nachbarschaft.

Auch die Notaufnahmen in den Kliniken sollten den Gutachtern zufolge umgebaut werden. Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD auf "integrierte Notfallzentren" verständigt, in denen Patienten untersucht und dann entweder einem ambulanten Arzt oder dem Krankenhaus zugewiesen werden, je nach Schwere ihres Problems. Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte sollen demnach in den Bundesländern "eine gemeinsame Sicherstellung der Notfallversorgung" schaffen, und zwar in "gemeinsamer Finanzierungsverantwortung". An einer solchen Lösung waren Ärzte und Kliniken bislang gescheitert. Sie streiten darüber, wer für die falschen Patienten in den Notaufnahmen aufkommt, und wer von dieser Entwicklung vielleicht sogar profitiert.

Dabei hatte sich die Regierung schon vor fünf Jahren, im vorherigen Koalitionsvertrag, eine "regelhafte Kooperation" der beiden Gruppen zur "Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung" vorgenommen. Ohne Erfolg. "Wir brauchen eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen", sagte Gesundheitsminister Spahn auch jetzt: "Gerade die Notfallversorgung müssen wir auf neue Füße stellen."

Solche Ideen umzusetzen ist auch deshalb so schwierig, weil sich die Bundesländer an der Neuorganisation beteiligen müssen. Vor allem eine Veränderung der Krankenhauslandschaft ist bei Landesregierungen und Bürgermeistern kein beliebtes Thema. Der Sachverständigenrat will deshalb im Herbst durch Deutschland touren und seine Vorschläge in vier Regionen vorstellen. Dem Bund empfehlen die Wissenschaftler unterdessen, eigenes Steuergeld in die Kliniken zu stecken, um mehr Einfluss auf sie nehmen zu können. Denn auch wenn die Notaufnahmen voll sind: Nach Erkenntnissen der Wissenschaftler gebe es in Deutschland noch zu viele Krankenhäuser. Sie schlagen den Politikern vor, mutiger zu sein und überschüssige Kliniken zu schließen. Landärzte dagegen sollten dem Gutachten zufolge stärker gefördert werden.

Um den Patienten ein anderes Verhalten anzugewöhnen, empfiehlt der Sachverständigenrat vergünstigte Krankenkassentarife. Sie sollen Menschen belohnen, die immer zuerst zum Hausarzt gehen, bevor sie Spezialisten wie zum Beispiel einen Hals-Nasen-Ohrenarzt oder einen Orthopäden aufsuchen. Sollten solche Anreize nicht fruchten, haben die Wissenschaftler noch strengere Maßnahmen im Programm: Patienten, die direkt zu einem Facharzt gehen, statt bei der Notrufnummer anzurufen und ohne den Hausarzt zu fragen, könnten mit einer Art neuen Praxisgebühr belegt werden.

Einen Missstand sieht der Sachverständigenrat allerdings bei den Psychotherapiepraxen: Von ihnen gebe es schlicht zu wenige.

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